Einbringungsrede von Innenminister Klaus
Jeziorsky zum Kommunalneugliederungsgesetz
26.05.2005, Magdeburg – 72
- Ministerium für Inneres und Sport
Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 072/05
Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 072/05
Magdeburg, den 26. Mai 2005
Es gilt das gesprochene Wort!
Einbringungsrede von Innenminister Klaus
Jeziorsky zum Kommunalneugliederungsgesetz
TOP 3 der Landtagssitzung am 26./27. Mai 2005
Anrede,
Eine
moderne, entsprechend den wesentlichen Bedürfnissen des Landes strukturierte,
Verwaltung ist ein wichtiger Standortfaktor im nationalen und internationalen
Wettbewerb. Diesem Grundsatz müssen auch und gerade die kommunalen Gebietskörperschaften,
die im übertragenen Wirkungskreis auch maßgebliche Stützen der
Landesverwaltung sind, entsprechen.
Die
Landesregierung hat in dieser Legislaturperiode konsequent an der
Modernisierung der Verwaltungsstrukturen des Landes gearbeitet und ihren
ehrgeizigen Zeitplan eingehalten. Mit der Umsetzung der notwendigen Reformen in
einem gestaffelten Verfahren wurde sicher gestellt, dass die Arbeitsfähigkeit
der Verwaltung insgesamt zu jedem Zeitpunkt gewährleistet war und ist.
Mit
der Auflösung der drei Regierungspräsidien und der Schaffung eines
Landesverwaltungsamtes wurde zunächst auf der Landesebene eine notwendige
Strukturveränderung umgesetzt.
Im
Anschluss daran wurden auf der gemeindlichen Ebene leistungsfähige
Einheitsgemeinden und Verwaltungsgemeinschaften gebildet. Auch dieser Prozess
ist zwischenzeitlich weitestgehend abgeschlossen.
Nachdem
diese Reformvorhaben beendet sind, kann jetzt die Neuordnung der kreislichen
Ebene umgesetzt werden. Auch hier wurde das bewährte gestufte Verfahren eingehalten.
Mit dem Kommunal-Neugliederungs-Grundsätze-Gesetz wurde der Rahmen für eine
Kreisgebietsreform vorgegeben.
Mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf soll dieser Rahmen jetzt ausgefüllt werden.
Zur
Frage der künftigen Kreissitze wurden entsprechende Gesetzentwürfe zur Anhörung
freigegeben, so dass zeitnah auch diese Frage einer gesetzlichen Regelung
zugeführt werden kann.
Damit
wird der Ebene der Landkreise Planungssicherheit gegeben.
Anrede,
Ziel
der Kreisgebietsreform ist die Herstellung leistungsstarker und zukunftsfähiger
Strukturen. Veränderte Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der Landkreise
werden hauptsächlich durch die enormen Auswirkungen der demographischen
Entwicklung, die bei der letzten Reform im Jahre 1994 in dieser Dimension nicht
einmal ansatzweise erkennbar waren, durch die zunehmend schwierige finanzielle
Situation für alle Gemeinden und Landkreise in Deutschland und nicht zuletzt
durch die wachsenden Qualitätserwartungen der Bürgerinnen und Bürger an die
Verwaltung gestellt.
Ich
möchte an dieser Stelle ein Leitmotiv hervorheben, das mir für das Reformvorhaben
äußerst wichtig erscheint und von dem ich weiß, dass es in diesem Hause über
die Fraktionsgrenzen hinweg von einer großen Mehrheit mitgetragen wird:
Reformen sind kein Selbstzweck, sie müssen den Menschen in unserem Land dienen
und von diesen letztlich auch akzeptiert werden. Denn die Menschen müssen in
den neuen Strukturen leben, sie ausgestalten und fortentwickeln. Wir müssen
daher also stets bedenken, welche Auswirkungen unsere Vorhaben auf die Menschen
in unserem Lande haben. Oder anders gesagt: Reformideen bloß am grünen Tisch
gehen fehl!
Lassen
sich mich dies mittels eines in diesem Hause oft bemühten Beispiels unterstreichen:
Was nützt es, wenn ein vermeintlicher Stararchitekt ein überdimensioniertes
Haus mit vermeintlich bester Isolierung und Ausstattung errichtet, das Gebäude
aber keine ¿innere¿ Wärme, keine Behaglichkeit ausstrahlt, die möglichen Bewohner
sich in den großen und sterilen Räumen nicht zurechtfinden und folglich dort
nicht leben wollen. Auf unser Vorhaben bezogen folgt hieraus: Keine Reform über
die Köpfe der Menschen hinweg sondern nur mit ihnen.
Das
Ziel kann nur gemeinsam mit den Betroffenen vor Ort erreicht werden. Dabei kann
man es sicher nicht allen Recht machen. Es ist aber notwendig, dass bereits
vorhandene Formen der Zusammenarbeit Berücksichtigung finden.
Ich
habe bereits im Zusammenhang mit der Reform der Verwaltungsgemeinschaften
gesagt, dass diese Landesregierung die kommunale Selbstverwaltung ernster nimmt
als andere.
Aus diesem Grund wurde, wie schon bei den
Verwaltungsgemeinschaften, ein sehr umfangreiches Anhörungsverfahren
durchgeführt. Sämtliche Gemeinden und Landkreise des Landes Sachsen-Anhalt
wurden zu diesem Gesetzentwurf angehört. Der Gesetzentwurf wurde zudem im
Rahmen einer Landrätekonferenz dargestellt und in Bürgermeisterkonferenzen, die
in jedem Landkreis stattfanden, erörtert. Das Anhörungsverfahren erstreckte
sich auch auf landesweit tätige Verbände. Das Ergebnis dieser Anhörungen wurde
in die Begründung des Gesetzentwurfes aufgenommen. Schließlich haben wir
Kreiskonferenzen in allen Landkreisen durchgeführt, in denen sich auf
kreislicher Ebene tätige Vereinigungen wie auch örtliche Politiker und Wirtschaftsvertreter
zu dem Entwurf positionieren und eigene Vorstellungen vortragen. Die
Erkenntnisse aus den Kreiskonferenzen wurden bei der Überarbeitung des Entwurfs
ebenfalls berücksichtigt.
Anrede,
wir haben in diesen Prozess ausnahmslos alle Kommunen
des Landes eingebunden und versucht, möglichst viele Institutionen, Verbände,
Kammern und andere Gruppierungen einzubinden. Dies ist in einem Umfang
geschehen, den wir im Land Sachsen-Anhalt bisher noch nicht hatten. Sie alle
haben uns weitergeholfen. Gestatten Sie mir daher an dieser Stelle einen
herzlichen Dank an alle Personen und Institutionen, die diesen Prozess der
Anhörung konstruktiv begleitet haben, gleich ob in der Sache zustimmend oder
kritisch.
Anrede,
wenn
man die kreislichen Ebene reformieren will, muss man sich vor Augen halten,
dass Landkreise nicht nur untere staatliche Behörden sondern auch kommunale
Selbstverwaltungskörperschaften sind. Wir haben damit zwei Ausrichtungen vorzunehmen,
die im Ansatz in entgegengesetzte Richtungen weisen können:
Zum
einen müssen die Landkreise zur Erfüllung der eigenen und staatlichen Aufgaben
über eine ausreichende Leistungsfähigkeit verfügen. Dies bedingt hinreichend
große Strukturen, um Spezialisierungen und Synergieeffekte zu erreichen.
Andererseits ist Größe aber nicht alles. Im Wirtschaftsleben ist es eine
allgemeine Erkenntnis, dass steigende Größe nicht in gleichem Umfange zu
steigender Effizienz führen muss. Dies belegen Dezentralisierungstendenzen in
einigen Branchen.
Zum
anderen obliegt den Landkreisen die Gestaltung der kommunalen Selbstverwaltung.
Es ist eine bürgernahe Kommunalpolitik zu gestalten, die die örtlichen Interessen
noch erkennen und berücksichtigen kann. Bürgerferne und Politikverdrossenheit
müssen von unseren Kommunen ferngehalten werden.
Landesregierung
und Landtag sind daher gut beraten, wenn sie darauf achten, dass
kommunalpolitisches Ehrenamt in einem Landkreis auch weiterhin möglich ist.
Daher dürfen Landkreise eine Größe nicht überschreiten, bei der Entscheidungen
der Kreistage für deren Mitglieder nicht mehr überschaubar werden und sich dem
eigenen Erleben entziehen. Ein Landrat unseres Landes hat dies bei einer
Kreiskonferenz so formuliert: Was haben wir gewonnen, wenn wir zwar drei
Regierungspräsidien abgeschafft, dann aber mit überdimensionierten Landkreisen
faktisch fünf neue Regierungspräsidien neu errichtet haben? In gleicher Weise
wirkt sich die Kreisstruktur auf die ehrenamtliche und die Verbands-Tätigkeiten
im Landkreisen aus. Hier ist darauf zu achten, dass die Bereitschaft der
Menschen zum Engagement nicht beeinträchtigt wird. Sorgen in diese Richtung
konnten wir in den bereits erwähnten Kreiskonferenzen mehrfach feststellen, vor
allem in den Bereichen Sport und Feuerwehr.
Der
vorliegende Gesetzentwurf wird den Anforderungen an den gesetzgeberischen
Spagat gerecht: Unsere Landkreise, von denen heute nur noch ein Drittel mehr
als 100.000 Einwohner aufweist und von denen im Prognosejahr 2015 wohl niemand
120.000 Einwohner erreichen wird, werden nachhaltig vergrößert.
Anrede,
bei
unserem Vorhaben lassen wir uns vornehmlich von folgenden Kriterien leiten, die
schon im Kommunal-Neugliederungs-Grundsätze-Gesetz von diesem hohen Hause
aufgestellt wurden:
1. Die Einwohnerzahl im Gebiet des neuen
Landkreises soll im Jahre 2015 auf der Basis der amtlichen Prognose des
Statistischen Landesamtes Sachsen-Anhalt mindestens 150.000 betragen. Dies gilt
nicht, wenn die durchschnittliche Einwohnerdichte im Gebiet des neu zu
bildenden Landkreises im Jahre 2015 weniger als 70 Einwohner je Quadratkilometer
betragen wird.
In begründeten Fällen kann die Einwohnerzahl
unterschritten werden.
2. Daneben
sollen raumordnerische, insbesondere wirtschaftliche und naturräumliche,
Zusammenhänge sowie historische und landsmannschaftliche Verbundenheiten berücksichtigt
werden.
3. Der nach der Fläche größte neue Landkreis soll
nicht mehr als 2.500 Quadratkilometer umfassen. In begründeten Fällen kann die
Fläche überschritten werden. Diese Überschreitung darf nicht mehr als zehn
Prozent betragen.
4. Der Zuschnitt
der Landkreise soll möglichst als Vollfusion bereits bestehender Landkreise
erfolgen. Um den bisherigen Landkreisen ein gleichberechtigtes Zusammenwachsen
auf ¿gleicher Augenhöhe¿ zu ermöglichen, werden alle betroffenen bisherigen
Landkreise aufgelöst und zu neuen Gebietskörperschaften zusammengeschlossen.
Die Aufnahme eines bisherigen Landkreises in einen
anderen bisherigen Landkreis findet aus diesem Grunde nicht statt.
Die
hieraus resultierenden Ergebnisse belegen, dass unsere neuen Landkreise im
Bundesvergleich gut mithalten können:
Die
deutschen Landkreise weisen im Bundesdurchschnitt eine Fläche von
1.054,52 km² und eine Einwohnerzahl von 174.540 Einwohnern auf. Und
genauer betrachtet: 186 Landkreise (d. h. 57,6 %) haben eine
Einwohnerzahl unterhalb von 150.000 Einwohnern.
273
Landkreise (= 84,5 %) liegen mit ihrer Fläche unterhalb von
1.500 km². Nur 5 Landkreise (= 1,5 %) weisen eine Fläche über
2.500 km² aus.
Ich
möchte an dieser Stelle zur Klarstellung nochmals betonen: Die genannten Vergleichszahlen
der bundesdeutschen Landkreise beziehen sich auf den status quo, unsere
Zielzahlen heben auf das Jahr 2015 ab und berücksichtigen bis dahin den heute
erkennbaren Fortgang der demografischen Entwicklung! Ich glaube, dies spricht
für sich, gelegentliche Äußerungen von zu ¿kurzen Sprüngen¿ relativieren sich
bei dieser Betrachtungen selbst.
Anrede,
im
Ergebnis werden so aus bisher 21 Landkreisen 11 Landkreise entstehen. Die drei
kreisfreien Städte bleiben bestehen.
Der
Zuschnitt folgt im Interesse der Akzeptanz so weit wie möglich den
Vorstellungen vor Ort. Die Mehrzahl der angestrebten Fusionen wird von den
beteiligten Landkreisen und deren Gemeinden sowie Verbänden ausdrücklich
begrüßt. Wir können hier ein hohes Maß an Zustimmung feststellen, dies gibt uns
die Gewissheit, dass die Menschen ihr Engagement auch in den neuen
Kreisstrukturen fortsetzen werden.
Augenfällig
wurde dies bei den Äußerungen namhafter Kommunalpolitiker im Rahmen der
Kreiskonferenzen: So äußerte der Vorsitzende der PDS-Kreistagsfraktion im
Burgenlandkreis, dass er und die Basis seiner Partei im Landkreis dem
Regierungsentwurf ausdrücklich zustimmen und sich von den Vorstellungen der
Landespartei bzw. einzelner Mitglieder der Landtagsfraktion zu noch größeren
Strukturen ausdrücklich distanzieren.
Gleiches
konnten wir auch in nachhaltiger Weise bei den Kreiskonferenzen im Mansfelder
Land/Sangerhausen in der Altmark vernehmen. Erwähnen möchte ich auch einen
Brief des Bundesvorsitzenden der PDS, Herr Biesky, an einen unserer Landräte,
mit dem er den vorliegenden Gesetzentwurf ausdrücklich anerkannte. Zustimmung
findet der Entwurf nicht zuletzt bei dem Spitzenverband der hier hauptbetroffenen
Kommunen unseres Landes, dem Landkreistag.
Anrede,
bei
dem konkreten Zuschnitt möchte ich aber nicht unerwähnt lassen, dass wir auch
Felder heftiger Diskussion im Lande hatten und auch noch haben. Ich spreche den
Bereich Anhalt hier deutlich an. Ich kenne niemanden, der die historische
Bedeutung und die identitätsstiftende Wirkung
dieses Landesteiles nicht ausdrücklich anerkennt. Anhalt ist ein
prägendes Element unseres Landes und muss es auch bleiben. Und ich spreche
allen Personen, der Evangelischen Kirche Anhalts, allen Initiativen und
Verbänden meine aufrichtige Anerkennung um ihr Bemühen aus.
Die
Landesregierung hat zu Beginn des Anhörungsverfahrens mit einem gesonderten
Anschreiben an die betroffenen Landkreise und deren direkt angrenzenden
Nachbarn versucht, den Anhaltgedanken den anzuhörenden Landkreisen vor deren
Entscheidungen über die kreislichen Stellungnahmen nachdrücklich in das Bewusstsein
zu bringen. Die Stellungnahmen der betroffenen Landkreise sowie der Stadt
Dessau haben dann aber zu der Erkenntnis geführt, dass ein Landkreis Anhalt
unter Beachtung der Mindestvorgaben im
Kommunal-Neugliederungs-Grundsätze-Gesetz nicht erreichbar war, weil eben nicht
von allen oder auch nur von hinreichenden Teilen der Landkreise auf den
Gebieten der ehemals drei anhaltischen Fürstentümern gewollt. Hinzu kamen
explizite Ausrichtungen der Landkreise Bitterfeld, Wittenberg, die mit den
Stellungnahmen der anhaltisch geprägten Landkreise in der Gesamtbewertung zu
dem Ergebnis führten, das Ihnen mit diesem Gesetzentwurf vorgelegt wird.
Nicht
näher eingehen möchte ich an dieser Stelle auf die uns mitgeteilten zahlreichen
Wechselwünsche von Gemeinden aus dem Landkreis Anhalt-Zerbst, sei es , dass
diese ‑ wie Coswig ‑ unbedingt nach Wittenberg wechseln
wollen, obwohl der Landkreis Anhalt-Zerbst die einst vorgeschlagene Fusion mit
dem Landkreis Wittenberg abgelehnt hat, wie die Mitgliedsgemeinden der
ehemaligen Verwaltungsgemeinschaft Loburg und den Gemeinden westlich von
Zerbst, die in das Jerichower Land wechseln wollen und sich ausdrücklich gegen
eine Zuwendung in Richtung Köthen oder Wittenberg aussprechen, wie die Stadt
Rosslau, die mit der Stadt Dessau fusionieren möchte. Derartige Tendenzen des
Auseinanderdriftens von kreisangehörigen Gemeinden waren in keinem anderen
Landkreis festzustellen, der Landkreis Anhalt-Zerbst stellt nach den Erkenntnissen
aus der förmlichen Anhörung und den erwähnten Konferenzen insoweit einen im
Landesvergleich einmaligen Fall dar, der mit der Situation in anderen
Landkreisen nicht vergleichbar ist.
Anrede,
abschließend
darf ich feststellen, dass die Notwendigkeit einer kreislichen Neustrukturierung
unbestritten ist. Über die Ausgestaltung der neuen Struktur kann man streiten,
das werden wir in diesem Hause auch tun. Ich bin mir aber sicher, dass wir dies
in einer konstruktiven Weise tun werden. Lassen Sie uns gemeinsam eine Reform
mit Augenmaß verwirklichen! Und: Lassen Sie uns eins nicht vergessen, wir bauen
das kommunale Gebäude für die Menschen in unserem Land um. Diese müssen darin
leben!
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Verantwortlich: Dr. Matthias Schuppe
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