Innenminister Hövelmann stellt
Verfassungsschutzbericht 2008 vor
17.06.2009, Magdeburg – 145
- Ministerium für Inneres und Sport
Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 145/09
Ministerium des Innern -
Pressemitteilung Nr.: 145/09
Magdeburg, den 17. Juni 2009
Innenminister Hövelmann stellt
Verfassungsschutzbericht 2008 vor
·
Rechtsextremisten zahlenmäßig leicht rückläufig,
aber mit hohem Gewaltpotential
·
Anhaltende Gefährdung, aber keine festgefügten
islamistischen Strukturen in Sachsen-Anhalt
¿Die
Demokratie in Sachsen-Anhalt ist gefestigt, aber sie wird von ihren Gegnern
aktiv in Frage gestellt und bedroht. Die wesentlichen Gefahren gehen dabei
unverändert vom Rechtsextremismus aus.¿ Das erklärte Innenminister Holger
Hövelmann (SPD) am heutigen Mittwoch in Magdeburg bei der Vorstellung des
gestern von der Landesregierung beschlossenen Verfassungsschutzberichts 2008.
Rechtsextremismus
Die
Anzahl der Rechtsextremisten ging in Sachsen-Anhalt gegenüber dem Vorjahr nochmals
leicht zurück. Den größten Anteil an der Gesamtzahl von 1.350 Personen bildet
mit nach wie vor 800 Personen das gewaltbereite, subkulturell geprägte Spektrum.
Der Neonaziszene in Sachsen-Anhalt gehören etwa 240 Rechtsextremisten an, die
mehrheitlich in so genannten Kameradschaften oder ihnen ähnlichen Zusammenschlüssen
organisiert sind. Bundesweit werden derzeit etwa 4.800 Neonazis gezählt (2007:
4.400).
Die Zahl der subkulturell geprägten, gewaltbereiten Rechtsextremisten
reduzierte sich im Berichtsjahr auf 9.500 Personen (2007: 10.000). In
Sachsen-Anhalt werden ihnen jedoch unverändert 800 Personen zugerechnet.
Die subkulturell geprägte, gewaltbereite Szene hat sich weiter von der
ursprünglichen Skinheadsubkultur entfernt, was sich auch im veränderten äußeren
Erscheinungsbild der Szeneangehörigen widerspiegelt. Die ursprüngliche
Skinheadsubkultur wird weiter durch Einflüsse anderer Jugendsubkulturen
zurückgedrängt. So sind die langjährigen Erkennungszeichen der Szene ¿ zum
Beispiel Bomberjacke und Springerstiefel ¿ zunehmend den Turnschuhen und
sonstigen Kleidungsstücken der in der Szene beliebten Modemarken gewichen.
Hierzu zählt auch die Marke ¿Thor Steinar¿ [1] mit ihren Produkten.
An Bedeutung gewonnen hat hingegen der Stil der ¿Autonomen Nationalisten¿, die
sich ohne Berührungsängste aus dem Fundus anderer Jugendsubkulturen, wie zum
Beispiel Hip-Hop oder Punk, bedienen und daher kaum allein anhand ihres Äußeren
eingeordnet werden können.
Rechtsextremisten [2]
2007
2008
Parteien und Vereinigungen
350
280
Neonazis
270
240
Gewaltbereite Rechtsextremisten
800
800
Sonstige Personenzusammenschlüsse
40
30
Gesamt:
1.460 [3]
1.350 [4]
Aus
der subkulturellen Szene stammt nach wie vor der weit überwiegende Teil derjenigen
Rechtsextremisten, die politisch motivierte Straftaten begehen (siehe Anlage).
Im Berichtsjahr wurden 13 rechtsextremistische Konzerte festgestellt, drei mehr
als im Vorjahr. Von diesen 13 Konzerten konnten drei von den Ordnungs- und
Sicherheitsbehörden des Landes Sachsen-Anhalt aufgelöst werden. Ein weiteres
wurde gänzlich verhindert. Durchschnittlich werden zehn bis 15 Prozent der
rechtsextremistischen Konzerte durch die intensive Aufklärungsarbeit der
Sicherheitsbehörden, bei der Polizei und Verfassungsschutz eng
zusammenarbeiten, verhindert. Für den Fall, dass eine Veranstaltung aus
rechtlichen Gründen nicht verboten werden kann, hat sich die Erteilung bestimmter
Auflagen und entsprechender polizeiliche Kontrollen derselben als probates
Mittel erwiesen, um zumindest die Verbreitung verfassungsfeindlicher Inhalte
während solcher Veranstaltungen wirksam zu unterbinden. Hövelmann: ¿Angesichts
der propagandistischen Funktion, die solche Konzerte für die subkulturelle
rechtsextremistische Szene haben, werden wir den repressiven Umgang mit solchen
Veranstaltungen fortsetzen.¿
Bereits seit Jahren stellt das private Wohnobjekt des Enrico Marx in
Sotterhausen einen Anlaufpunkt der rechtsextremistischen Szene dar. Nach wie
vor finden dort vor allem die so genannten Freitagspartys statt, zu denen
häufig parallel Proben rechtsextremistischer Musikgruppen durchgeführt werden.
In Sachsen-Anhalt bieten sieben Onlinevertriebe ihr rechtsextremistisches
Material über mehr oder weniger professionell gestaltete Webseiten zum Kauf an.
Darüber hinaus verkaufen zwei Vertriebe ihre Ware zusätzlich in Szeneläden. Das
Angebot der Ladengeschäfte richtet sich vorwiegend an Kunden aus der jeweiligen
Region. Die Szeneläden werden von den Szeneangehörigen auch als Trefforte
angenommen.
Die Aktivitäten von sachsen-anhaltischen Szeneangehörigen zu den aus ihrer Sicht
bedeutsamen historischen Daten nahmen im Vergleich zum Vorjahr zu. So benutzten
Rechtsextremisten erneut allgemeine Gedenktage wie den 1. Mai, den 8. Mai, den
17. Juni und den Volkstrauertag sowie die Jahrestage von Bombardements
deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg, um diese im Sinne ihrer Propaganda
umzudeuten. Sie entfalteten darüber hinaus wie in den Vorjahren Aktivitäten zu
Geburts- und Todestagen nationalsozialistischer Kriegsverbrecher.
Die NPD ist die mitgliederstärkste rechtsextremistische Partei. Die NPD trat
auch 2008 unverändert rassistisch und aggressiv fremdenfeindlich auf. Ihre
Agitation war zudem geprägt von Antisemitismus und Revisionismus. Der Mitgliederbestand des
NPD-Landesverbandes Sachsen-Anhalt erhöhte sich seit 2005 nicht. Er umfasst
etwa 250 Personen, die in elf Kreisverbänden und mehreren Ortsbereichsgruppen
organisiert sind .
Weder die vielfältigen Aktivitäten der NPD in der Bundesrepublik noch ihr
Wirken in zwei Landesparlamenten oder auf kommunaler Ebene vermochten die NPD
in Sachsen-Anhalt hinsichtlich ihrer Mitgliederentwicklung zu beflügeln.
Der
NPD-Landesverband versuchte auch im Berichtsjahr ¿ zum Beispiel über seine
Darstellung im Internet ¿ den Eindruck zu vermitteln, er und seine
Jugendorganisation ¿Junge Nationaldemokraten¿ (JN) verfügten über einen
stabilen, homogenen, zielorientiert handelnden Personalkörper voller geistiger
und aktionistischer Spannkraft. Die beobachtete Parteipraxis ist jedoch
vergleichsweise ernüchternd. Die Mitgliederzahlen auch der JN stagnieren, die
einst starken südlichen NPD-Kreisverbände wie der Kreisverband Burgenlandkreis
haben ihren parteiinternen ¿Vorzeige¿-Charakter eingebüßt, die finanzielle Lage
der Partei hat sich weiter verschärft und bei den Bürgermeisterwahlen im Jahr
2008 konnten NPD-Kandidaten keine nennenswerten Ergebnisse erzielen.
Der Vorstand des Landesverbandes Sachsen-Anhalt der NPD trat im September fast
geschlossen zurück. Dem waren monatelange Querelen zwischen den Vorstandsmitgliedern
vorausgegangen. Ein geschäftsführender Vorstand unter Leitung des Neonazis und
Parteifunktionärs Matthias Heyder leitete seither den Landesverband der Partei.[5]
Die JN unterhalten in Sachsen-Anhalt einen Landesverband und mehrere
Stützpunkte. Angemietete Räume in der Bernburger Innenstadt weist der
Landesverband als ¿Nationales Zentrum Bernburg¿ aus, in dem auch die
Bundesgeschäftsstelle der JN und die Landesgeschäftsstelle der NPD ansässig
sind. Fast ausnahmslos entstammen die sachsen-anhaltischen JN-Mitglieder der
Neonaziszene. Mit etwa 50 Mitgliedern stagniert der Bestand bereits seit über
drei Jahren. Weder die vielfältigen Aktivitäten noch eine offensive
Internetpublizistik führten zum erhofften Mitgliederzuwachs.
2008 haben sich die Neonaziszene und die NPD in einem rasanten Tempo sowohl inhaltlich
als auch organisatorisch angenähert. Vor allem drängen immer mehr Neonazis, die
in der Hauptsache bereits die inhaltlichen Aspekte der ¿Jungen Nationaldemokraten¿
(JN) bestimmen, in die Parteivorstände und beginnen, diese politisch zu dominieren.
Die JN fungieren dabei als Bindeglied und Scharnier zwischen NPD und Neonazis.
Die JN sind als Jugendorganisation der NPD integraler Bestandteil der Partei.
Neben dem Bemühen um einen Ausbau ihrer Strukturen versuchen die JN weiterhin,
ihr politisches Profil zu schärfen. Über die rein aktionistische Betätigung der
Organisation hinaus sind sie auch bemüht, die Intellektualisierung der
rechtsextremistischen Szene voranzutreiben.
Minister Hövelmann bekräftigte seine Einschätzung, dass diese Entwicklungen ein
neues Verbotsverfahren aussichtsreich und notwendig machen. ¿In der
Auseinandersetzung mit dem organisierten Rechtsextremismus können wir uns nicht
darauf verlassen, dass die Gegner der Demokratie sich selbst schwächen. Der
demokratische Staat muss Rechtsextremismus, Fremdenhass und Antisemitismus
offensiv bekämpfen¿, so der Innenminister.
Der Landesverband Sachsen-Anhalt der DVU entfaltete im Berichtsjahr so gut wie
keine öffentlichkeitswirksamen politischen Aktivitäten. Einzige Ausnahme
bildete eine Informationsveranstaltung des DVU-Landesverbandes Sachsen-Anhalt
am 28. Juni in Dessau-Roßlau, an der etwa 25 Personen teilnahmen. Als Redner traten
der DVU-Landesvorsitzende Ingmar Knop (Dessau-Roßlau) und der neue
DVU-Bundesvorsitzende Matthias Faust[6] auf. In
Sachsen-Anhalt werden der DVU noch etwa 30 aktive Mitglieder zugerechnet.
Linksextremismus
Das linksextremistische Personenpotential im Land Sachsen-Anhalt
blieb im Vergleich zum Vorjahr unverändert.
Linksextremisten
2007
2008
Autonome
270
270
Parteien und sonstige Gruppierungen
270
270
Gesamt:
540
540
Schwerpunktregion
der etwa 270 Personen umfassenden Autonomenszene in Sachsen-Anhalt ist die
Stadt Magdeburg. Dort machten Gruppierungen wie die ¿Gruppe Internationale
Solidarität¿ (GIS), die ¿Autonome Antifa Magdeburg¿ (AAMD) und deren im Verlauf
des Berichtsjahres geschlossenes Bündnis ¿Zusammen Kämpfen¿ (ZK) auf sich
aufmerksam. Daneben agierten die Gruppierungen ¿Antifaschistischer Widerstand Olvenstedt¿
(AWO) und ¿Autonome Linke Magdeburg¿ (A.L.M.).
Hauptaktionsfeld autonomer Zusammenschlüsse blieb im Berichtszeitraum der
¿antifaschistische Kampf¿. Hierunter fällt für Autonome auch die direkte
körperliche Auseinandersetzung mit den ¿Nazis¿, für deren Existenz nach wie vor
das ¿System¿ verantwortlich gemacht wird. Neben dem Auftreten gegen
rechtsextremistische Demonstrationen entfalteten Autonome Aktivitäten gegen den
rechtsextremistischen ¿Lifestyle¿, insbesondere gegen Bekleidungsgeschäfte, die
zum Beispiel die Marke ¿Thor Steinar¿ vertreiben. Die Zunahme gewalttätiger
Auseinandersetzungen zwischen Links- und Rechtsextremisten sei
besorgniserregend, bekräftigte der Innenminister (siehe Anlage).
Im Bereich der linksextremistischen Parteien und sonstigen Gruppierungen waren
in Sachsen-Anhalt im Berichtszeitraum die ¿Marxistisch-Leninistische Partei
Deutschlands¿ (MLPD), die ¿Deutsche Kommunistische Partei¿ (DKP), deren
Jugendorganisation ¿Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend¿ (SDAJ), die
¿Kommunistische Partei Deutschlands¿ (KPD/Ost) und die ¿Kommunistische Partei
Deutschlands/Marxisten-Leninisten¿ (KPD/ML) mit eigenen Strukturen aktiv. Ihre
Vertreter versuchten sich wie in den Vorjahren in gesellschaftliche Protestkampagnen
einzubringen.
Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von
Ausländern
Im Rahmen der Beobachtung sicherheitsgefährdender und
extremistischer Bestrebungen von Ausländern kommt der Bedrohung durch den
internationalen islamistischen Terrorismus nach wie vor besondere Bedeutung zu.
Die Bundesrepublik Deutschland ist als Teil des weltweiten Gefahrenraumes
anzusehen und liegt im unmittelbaren Zielspektrum terroristischer Gruppierungen.
In Sachsen-Anhalt sind keine festgefügten Strukturen islamistischer
Organisationen bekannt geworden. Jedoch gab es zunehmend Hinweise auf Personen,
die in Sachsen-Anhalt wohnen, aber islamistischen Gruppierungen, wie zum
Beispiel der ¿Tablighi Jama¿at¿ (TJ) und der ¿Tschetschenischen Republik
Itschkeria¿ (CRI)/ ¿Tschetschenischen Separatistenbewegung¿ (TSB) in anderen Bundesländern
zuzurechnen sind.
Spionageabwehr
Auch im Jahr 2008 setzten sich die Aufklärungsaktivitäten der
Nachrichtendienste fremder Staaten in der Bundesrepublik Deutschland in unvermindertem
Umfang fort.
Dies gilt insbesondere für die Nachrichtendienste der Volksrepublik China und
der Russischen Föderation. China betreibt in Deutschland hauptsächlich
Wirtschaftsspionage, und zwar in erster Linie auf dem elektronischen Sektor.
Die russischen Nachrichtendienste haben ihre Ausrichtung der Aufklärungsaktivitäten
auf den Bereich der Wirtschaftsspionage weiter verstärkt.
Der
Verfassungsschutzbericht 2008 steht unter https://www.mi.sachsen-anhalt.de zum
Download bereit.
Anlage
Pressemitteilung vom
2.3.2009 zur Statistik der politisch motivierten Kriminalität 2008
Impressum:
Verantwortlich: Martin Krems
Pressestelle
Halberstädter Straße 2 / Am Platz des 17. Juni
39112 Magdeburg
Tel: (0391) 567-5504/-5516/-5517
Fax: (0391) 567-5520
Mail:
Pressestelle@mi.sachsen-anhalt.de
[1] Das
Ministerium der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt hat mit Schreiben vom 23.
Oktober 2008 mitgeteilt, dass mit der Vorlage der schriftlichen Begründung des
Urteils des OLG Naumburg vom 21. Mai 2008, Az.: 4107 E-405.82/04, eine
strafrechtliche Verfolgung des Alt-Logos von ¿Thor Steinar¿ unzulässig geworden
ist.
[2]
Impressum:Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-AnhaltVerantwortlich:Danilo WeiserPressesprecherHalberstädter Straße 2 / am "Platz des 17. Juni"39112 MagdeburgTel: (0391) 567-5504/-5514/-5516/-5517/-5377Fax: (0391) 567-5520Mail: Pressestelle@mi.sachsen-anhalt.de