Innenminister Hövelmann stellt Verfassungsschutzbericht
2005 vor: Gegen Rechtsextremismus entschieden gegensteuern
14.06.2006, Magdeburg – 111
- Ministerium für Inneres und Sport
Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 111/06
Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 111/06
Magdeburg, den 14. Juni 2006
Innenminister Hövelmann stellt Verfassungsschutzbericht
2005 vor: Gegen Rechtsextremismus entschieden gegensteuern
Am gestrigen
Dienstag hat die Landesregierung den von Innenminister Holger Hövelmann
eingebrachten Verfassungsschutzbericht 2005 beschlossen. Der Bericht
beschreibt die wichtigsten Entwicklungen in den Bereichen des politischen
Extremismus und terroristischer Bedrohung.
¿Die
vom Rechtsextremismus ausgehenden Gefahren haben wieder zugenommen. Auch wenn
unser Staat dadurch nicht existenziell bedroht ist, müssen wir den
Rechtsextremismus mit seinen ausgrenzenden, diffamierenden und häufig
gewalttätigen und damit menschenfeindlichen Zügen als eine Gefährdung unseres
demokratischen Gemeinwesens begreifen¿, erklärte Hövelmann heute vor der Presse
in Magdeburg. ¿Die Landesregierung wird deshalb entschlossen gegensteuern. Die
Möglichkeiten der Beobachtung durch den Verfassungsschutz und der
polizeilichen Repression sind dabei
ebenso wichtig wie eine aktive Aufklärung in den Schulen und durch politische
Bildung.¿
Als besonders besorgniserregend bezeichnete
Hövelmann das im Verfassungsschutzbericht bilanzierte Anwachsen des
rechtsextremistischen Personenpotenzials und die drastische Zunahme der auf das
Konto von Rechtsextremisten gehenden Straf- und Gewalttaten: ¿Über diese
Entwicklungen vorbehaltlos aufzuklären und ihnen mit allen zu Gebote stehenden
rechtsstaatlichen Mitteln entgegenzutreten, ist das erklärte Ziel der
Landesregierung.¿
Der Minister hob hervor,
dass durch die bereits im Vorfeld strafbarer Handlungen angesiedelte Arbeit
des Verfassungsschutzes entscheidende Informationen über die Planung von Skinheadkonzerten
gewonnen und an die zuständigen Stellen weitergegeben wurden. Auf diese Weise
sei es gelungen, die Anzahl der Skinheadkonzerte in Sachsen-Anhalt ein
weiteres Mal zu reduzieren. Insbesondere im Hinblick auf den gegenläufigen
Bundestrend handele es sich dabei um ein ermutigendes Signal.
Der
Verfassungsschutzbericht 2005 stellt über den Rechtsextremismus hinaus die von
islamistischen Extremisten und Terroristen ausgehenden Gefahren dar. Es ist von
einer anhaltenden Bedrohung für die Bundesrepublik Deutschland und damit ¿
wenn auch in leicht abgeschwächter Form ¿ für Sachsen-Anhalt auszugehen.
Die wichtigsten Themenbereiche im
Einzelnen:
I. Rechtsextremismus
Das rechtsextremistische
Personenpotenzial nahm im Berichtszeitraum zu. Dies geht vor allem auf
Mitgliederzuwächse im Bereich der rechtsextremistischen Parteien und auf die
erstmalige Berücksichtigung der 2004 gegründeten ¿Exilregierung Deutsches
Reich¿ zurück. Auch die Anzahl gewaltbereiter Rechtsextremisten nahm nach
Jahren des Rückgangs wieder zu.
Rechtsextremisten[1]
2004
2005
Parteien und Vereinigungen
370
440
Neonazis
250
250
Gewaltbereite Rechtsextremisten
600
650
Sonstige Personenzusammenschlüsse
10
120
Gesamt:
1.230
1.460[2]
Die
Anzahl der politisch motivierten Straftaten im Bereich Rechtsextremismus stieg
im Berichtszeitraum erneut an. Dies ist vor allem auf die starke Zunahme an so
genannten Propagandadelikten zurückzuführen, die um 260 Fälle anstiegen. Eine
Vielzahl von ihnen steht im Zusammenhang mit dem Tragen von Kleidung mit dem
erst seit Ende 2004 verbotenen ¿Thor-Steinar¿-Logo. Im annähernd gleichen
Verhältnis wuchs die Anzahl der politisch motivierten Gewaltdelikte an. Diese
Entwicklung und das zunehmend rücksichtslosere Vorgehen der Straftäter sind
Zeichen der veränderten Situation im subkulturellen Bereich des
Rechtsextremismus.
Nach wie vor sind politische Gegner, Andersdenkende und -aussehende Hauptzielgruppen
gewalttätiger Übergriffe von Rechtsextremisten.
Der
seit 2001 in der Bundesrepublik Deutschland zu verzeichnende Anstieg der Zahl
der rechtsextremistischen Skinheadkonzerte setzte sich auch im Jahr 2005 fort.
In Sachsen-Anhalt dagegen verringerte sich die Anzahl dieser Konzerte deutlich.
Im Berichtsjahr fanden nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes elf
derartige Veranstaltungen statt (2004: 23). Die rückläufige Entwicklung im
Land ist nicht zuletzt auf die enge Kooperation zwischen den Sicherheits- und
Ordnungsbehörden zurückzuführen.
Auch 2005 erschienen strafrechtlich relevante Tonträger
deutscher rechtsextremistischer Bands. Dabei handelte es sich unter anderem um
CDs, die von in den USA ansässigen Vertrieben hergestellt wurden. Diese schüren
regelmäßig Hass gegen Angehörige von Minderheiten und insgesamt gegen alle
Menschen, die nicht dem eigenen rechtsextremistischen Weltbild entsprechen, und
greifen demokratische Gesellschaftsformen an.
Die so genannten Fanzines haben ihre
Bedeutung als wichtiges Kommunikationsmittel der rechtsextremistischen Szene
durch den zunehmenden Einfluss des Internet eingebüßt. Zu den bekanntesten
rechtsextremistischen Fanzines in Sachsen-Anhalt zählen ¿Meinungsfreiheit¿
(Klötze/Landkreis Salzwedel), ¿Streetwar¿ (Markwerben/ Landkreis Weißenfels),
¿Fahnenträger¿ (Wolfen/Landkreis Bitterfeld), ¿Der Vorstoß ¿ Das nationale
Heftchen aus der Altmark¿ (Region Altmark) und ¿Ostara¿ (Region Sangerhausen).
Seit
Anfang 2004 planen deutsche Rechtsextremisten unter der Bezeichnung ¿Projekt
Schulhof¿ die kostenlose und bundesweite Verteilung von CDs mit dem Titel
¿Anpassung ist Feigheit ¿ Lieder aus dem Untergrund¿. Die enge Zusammenarbeit
der zuständigen Stellen, die strafprozessualen und jugendschützenden Maßnahmen
und eine gezielte intensive Öffentlichkeitsarbeit haben dazu geführt, dass die
von den Initiatoren ursprünglich angekündigte, zentral gesteuerte und
flächendeckende Verteilung im Bundesgebiet nicht realisiert werden konnte.
Gleichwohl wurden punktuelle, nicht zeitgleiche Verteilaktionen regionaler
Szeneaktivisten bekannt. Bundesweit wurden inzwischen etwa 4.000, im Land
Sachsen-Anhalt dagegen nur sehr wenige Einzelexemplare der durch das
Amtsgericht Halle mit einem bundesweiten Einziehungs- und
Beschlagnahmebeschluss belegten CD sichergestellt.
Auch
im Jahr 2005 bildete die ¿Nationaldemokratische Partei Deutschlands¿ (NPD)
einen Kristallisationspunkt für die fortdauernden Versuche des
rechtsextremistischen Lagers zur Einigung. Ihr Ziel, durch Wahlabsprachen mit
der ¿Deutschen Volksunion¿ (DVU) den Einzug in Länderparlamente und in den
Deutschen Bundestag zu erreichen, scheiterte.
Dem
NPD-Landesvorstand gelang es, den Landesverband auf niedrigem Niveau zu
stabilisieren. Dieser konnte sich vor allem im Süden Sachsen-Anhalts
etablieren. NPD-Mitglieder haben dort mehrere Mandate auf kommunaler Ebene
inne. Der Landesverband verfügt über neun Kreisverbände und mehrere
Ortsbereichsgruppen.
Die
NPD-Jugendorganisation ¿Junge Nationaldemokraten¿ (JN), die ihre Positionen
aggressiver als ihre Mutterorganisation vertritt und als Bindeglied zu den
Neonazis fungiert, gründete im August einen Landesverband in Sachsen-Anhalt.
Über diesen wird versucht, Einfluss auf die parteiungebundene
rechtsextremistische Szene zu nehmen.
Die
DVU bleibt auch mit einer bundesweit rückläufigen Mitgliederzahl die größte
rechtsextremistische Partei in Deutschland. Ihr Einfluss im
rechtsextremistischen Spektrum gilt dennoch als gering. Der hiesige DVU-Landesverband ist in einem
desolaten Zustand und hat nur noch wenige aktive Mitglieder, die zudem nur
noch in sehr geringem Maße Aktivitäten entfalten.
Die
übrigen rechtsextremistischen Parteien blieben in Sachsen-Anhalt weitgehend
bedeutungslos.
Im
Berichtsjahr wurde die 2004 gegründete ¿Exilregierung Deutsches Reich¿ in die
Liste der Beobachtungsobjekte der Verfassungsschutzbehörde aufgenommen. Die
¿Exilregierung¿ leugnet die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland und
behauptet einen Fortbestand des Deutschen Reiches. Sie verfolgt Ziele, die
gegen die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte und gegen den Gedanken
der Völkerverständigung gerichtet sind. Sie lehnt das Gesamtsystem der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausdrücklich ab.
II.
Linksextremismus
Im Vergleich zum Vorjahr blieb die Anzahl von
Linksextremisten im Land Sachsen-Anhalt in ihrer Gesamtheit konstant. Während
das Personenpotenzial der Autonomenszene leicht anstieg, ging die Anzahl der
Mitgliedschaften in linksextremistischen Parteien und Vereinigungen im
gleichen Umfang zurück.
Linksextremisten[3]
2004
2005
Parteien und sonstige Gruppierungen
275
245
Autonome
260
290
Gesamt:
535
535
Die Anzahl politisch motivierter Straftaten im
Bereich Linksextremismus stieg im Berichtsjahr stark an. Dies trifft auch auf
die entsprechenden Gewalttaten zu, die in aller Regel im Zuge von
Auseinandersetzungen mit Rechtsextremisten oder vermeintlichen
Rechtsextremisten begangen wurden.
Schwerpunktregionen der etwa 290 Personen
umfassenden Autonomenszene in Sachsen-Anhalt sind nach wie vor die Städte
Magdeburg, Halle und Dessau. Auch das Demonstrationsgeschehen spielte sich fast
ausschließlich in diesen Regionen ab.
Die Häufigkeit von
rechtsextremistischen Aufzügen und das stets als provokativ empfundene
Auftreten von Rechtsextremisten in der Öffentlichkeit führten im Berichtszeitraum
dazu, dass auch in der Sichtweise von Autonomen aus Sachsen-Anhalt die
Bedeutung des ¿antifaschistischen Kampfes¿ zunahm. Dieser reichte von bloßen
verbalen Reaktionen über Angriffe auf öffentliche Auftritte von
Rechtsextremisten bis hin zu einem verstärkten Engagement in Form von eigenen
themenbezogenen Demonstrationen. Gegen vermeintliche oder erkannte Personen
des gegnerischen politischen Lagers wurde zum Teil mit erheblicher Brutalität
vorgegangen.
Daneben protestierten Autonome gegen den
Vertrieb und Verkauf tatsächlicher oder vermeintlicher rechtsextremistischer
Mode und Musik. Ziel war dabei, solche Vertriebsstrukturen aufzudecken und
öffentlich bekannt zu machen.
In Revisionsverfahren gegen zwei Magdeburger
Autonome bestätigte das Oberlandesgericht Naumburg die 2003 im Strafverfahren
wegen des Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung verhängten
Haftstrafen von zwei und zweieinhalb Jahren ohne Bewährung.
Von
den linksextremistischen Parteien und Vereinigungen sind in Sachsen-Anhalt nach
wie vor lediglich die ¿Deutsche Kommunistische Partei¿ (DKP), die ¿Kommunistische
Partei Deutschlands¿ (KPD/Ost), die ¿Marxistisch-Leninistische Partei
Deutschlands¿ (MLPD) und die ¿Freie Arbeiterinnen und Arbeiter-Union ¿
Internationale Arbeiter Assoziation¿ (FAU-IAA) mit eigenen Strukturen
vertreten.
III. Sicherheitsgefährdende
und extremistische Bestrebungen von Ausländern
Die
Gefährdung durch den globalen islamistischen Terrorismus hält weiter an. Auch
die Bundesrepublik Deutschland ist insbesondere aufgrund der Beteiligung an
militärischen Einsätzen in Afghanistan sowie angesichts der Mithilfe bei der
Ausbildung irakischer Polizeibeamter und Offiziere gefährdet. Es ist weiter
von der Existenz bislang nicht enttarnter Mujahedin auszugehen, die die
Bundesrepublik nicht nur als Rückzugs- und Ruheraum, sondern auch als
Vorbereitungsraum und potenzielles Ziel von Anschlägen betrachten. Spätestens
seit den Londoner Anschlägen im Juli 2005, bei denen 56 Menschen getötet und
etwa 775 verletzt wurden, muss bei der Bewertung der Sicherheitslage
berücksichtigt werden, dass terroristische Aktivitäten auch von scheinbar in
die Gesellschaft integrierten Personen ausgehen können.
Obwohl
diese Gefährdungseinschätzung generell auch für Sachsen-Anhalt gilt, kann
jedoch aufgrund der hier nicht gefestigten Organisationsstrukturen
islamistischer Gruppierungen, der vergleichsweise geringen Ausländerquote sowie
der Infrastruktur insgesamt nach wie vor von einer abgeschwächten Bedrohung
durch den islamistischen Terrorismus ausgegangen werden.
In
Sachsen-Anhalt ist nach wie vor lediglich der ¿Volkskongress Kurdistans¿
(KONGRA-GEL) als Organisation mit festgefügten Strukturen etabliert. Über
Aktivitäten anderer Organisationen in Sachsen-Anhalt liegen bisher keine
Erkenntnisse vor. Gleichwohl gibt es Hinweise auf hier wohnhafte
Einzelpersonen, die mit extremistischen Gruppierungen in anderen Bundesländern
in Verbindung stehen und diese unterstützen.
Die Anzahl der politisch motivierten Straf- und Gewalttaten im Bereich
des Ausländerextremismus stieg im Berichtsjahr leicht an, bewegte sich aber
insgesamt auf niedrigem Niveau.
Der
Verfassungsschutzbericht 2005 steht unter der Internetadresse https://www.mi.sachsen-anhalt.de
zum Download bereit.
Anlage
Straf-
und Gewalttatenstatistik[4]
Vorbemerkung:
Bei den statistischen Angaben zu den Straf- und Gewalttaten handelt es
sich um Zahlen, die dem Landeskriminalamt im Rahmen des kriminalpolizeilichen
Meldedienstes ¿Politisch motivierte Kriminalität¿ zu übermitteln sind.
Dieser Meldedienst beruht auf einem bundesweit einheitlichen
Definitionssystem, das die Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister
und -senatoren der Länder (IMK) am 10. Mai 2001 beschlossen und rückwirkend
zum 1. Januar 2001 eingeführt hat. Danach werden Straftaten nach einem
einheitlichen Kriterienkatalog erfasst und einem Phänomenbereich (im
Wesentlichen Politisch motivierte Kriminalität -links-, Politisch motivierte
Kriminalität -rechts-, Politisch motivierte Ausländerkriminalität) zugeordnet.
Zentrales Erfassungskriterium ist die politisch motivierte Tat. Der
extremistischen Kriminalität ¿ als Teilmenge der politisch motivierten
Kriminalität ¿ werden Straftaten zugerechnet, bei denen tatsächliche
Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die freiheitliche demokratische
Grundordnung gerichtet sind, das heißt darauf, fundamentale
Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Kraft zu setzen.
In
Sachsen-Anhalt wurden im Berichtsjahr in den Phänomenbereichen Politisch motivierte
Kriminalität -links-, Politisch motivierte Kriminalität -rechts- und Politisch
motivierte Ausländerkriminalität insgesamt 1.372 (Vorjahr: 856) Straftaten
registriert.[5]
Diese
verteilen sich wie folgt:
Politisch motivierte Straftaten
nach Phänomenbereich
2004
2005
-rechts-
758
1130
-links-
86
222
Ausländerkriminalität
12
20
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