Landtagsdebatte zum Begleitgesetz zur
Gemeindegebietsreform
13.12.2007, Magdeburg – 388
- Ministerium für Inneres und Sport
Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 388/07
Ministerium des Innern -
Pressemitteilung Nr.: 388/07
Magdeburg, den 13. Dezember 2007
Landtagsdebatte zum Begleitgesetz zur
Gemeindegebietsreform
Sperrfrist: Beginn der Rede
Es gilt das gesprochene Wort.
In der zweiten Lesung des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform
erklärt Finanzminister Jens Bullerjahn
in Vertretung des erkrankten Innenministers Holger
Hövelmann (beide SPD) am heutigen Donnerstag im Landtag:
¿Der heute in zweiter Lesung zu behandelnde Entwurf eines
Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform bildet die Grundlage dafür, die
Gemeinden in Sachsen-Anhalt zukunftsfähig zu machen. Ziel dieser Reform ist es,
in unserem Land starke Gemeinden zu schaffen, die die künftigen Anforderungen
an eine leistungsfähige, effiziente und den Erwartungen der Bürgerinnen und
Bürger gerecht werdende Verwaltung bewältigen können.
Der Grund dafür, die Verwaltungs- und Leistungskraft der Städte und
Gemeinden in Sachsen-Anhalt durch eine Gemeindegebietsreform zu stärken, liegt
in der Erkenntnis, dass die demographische, wirtschaftliche und finanzielle
Entwicklung in unserem Land diesen Schritt erfordert. Ich möchte an dieser
Stelle nur auf die spürbaren finanziellen Einschnitte auch und gerade für die
gemeindliche Ebene hinweisen, die sich durch den seit Jahren festzustellenden
und auch für die Zukunft prognostizierten Rückgang der Einwohnerzahlen in
Sachsen-Anhalt wie auch die zunehmende Überalterung der Bevölkerung ergeben.
Gleichzeitig werden die Mittel der kommunalen Finanzausstattung durch das
Auslaufen des Solidarpakts II bis zum Jahr 2020 rückläufig sein.
er Entwurf des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform setzt
rechtlich das Leitbild um, das die Landesregierung Anfang August beschlossen
hat. Dieses Leitbild macht deutlich, von welchen Voraussetzungen und
Vorstellungen die Landesregierung zur Schaffung einer leistungsstarken
gemeindlichen Verwaltungsstruktur ausgeht. Das Leitbild der Landesregierung hat
landesweit eine intensive Diskussion sowohl über das Für und Wider einer
Gemeindegebietsreform als auch über die Leitvorstellungen für die Neugliederung
der gemeindlichen Ebene in Gang gesetzt.
Wenn man den Diskussionsprozess bis zum heutigen Tag zusammenfasst, so
lässt sich resümieren, dass die kritischen Stellungnahmen völlig
unterschiedlich motiviert sind.
Die einen lehnen die Reform von vorn herein als völlig unnötig ab,
anderen gehen die Grundsätze der Neugliederung zu weit. Denjenigen, die eine
Reform grundlegend ablehnen, ist entgegen zu halten, dass die Fakten keinen
anderen Schluss zulassen, als dass in unserem Land eine Gemeindegebietsreform
zwingend notwendig ist.
In Sachsen-Anhalt existierten - mit Stand vom 31. Dezember 2005 - 1.053
kreisangehörige Gemeinden, von denen fast 69 Prozent weniger als 1.000
Einwohner aufweisen und sogar fast 40 Prozent weniger als 500 Einwohner haben.
Damit hat Sachsen-Anhalt die kleinteiligsten Gemeindestrukturen im Vergleich zu
fast allen anderen Bundesländern. In Sachsen beispielsweise gibt es nur noch
acht Gemeinden unter 1.000 Einwohnern.
Die Problematik der Kleinstgemeinden besteht darin, dass sie häufig
nicht selbständig in der Lage sind, die eigenen Aufgaben gemäß den gesetzlichen
Aufgaben zu erfüllen. Ohne starke Unterstützung können sie kaum gemeindliche Einrichtungen zur
Durchführung pflichtiger wie freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben für ihre
Bürger vorhalten.
Hinzu kommt, dass das in den Händen der vielen kleinen Gemeinden
liegende Finanzvolumen nur kleinteilige Entscheidungs- und Handlungsspielräume
eröffnet.
Dieses Problem wird sich durch den prognostizierten Rückgang der
Einwohnerzahl des Landes um fast 20 Prozent bis zum Jahre 2025, die zunehmende
Überalterung der Bevölkerung und den damit verbundenen sinkenden Einnahmen für
die öffentlichen Haushalte weiter verschärfen.
Die Folge
der mangelnden Leistungsfähigkeit der gemeindlichen Ebene besteht in der
Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung. Betrachtet man einmal die
Finanzsituation der Gemeinden in Sachsen-Anhalt, so ist festzustellen, dass
sich bei zwei Dritteln aller Gemeinden in Sachsen-Anhalt der Gestaltungs- und
Entscheidungsspielraum für die kommunalpolitisch tätigen Mandatsträger faktisch
auf die Schuldenverwaltung beschränkt.
Von der
Leistungsfähigkeit einer Gemeinde hängt jedoch entscheidend das Maß gelebter
örtlicher Demokratie ab. Gemeindliche Selbstverwaltung muss Substanz haben. Die
Gemeinden müssen nach ihrer Größe und Finanzkraft in der Lage sein, originäre
Zuständigkeiten wahrzunehmen und den Anforderungen und Erwartungen der Bürger
nachzukommen. Können sie das nicht, droht ihnen eine Erosion des
bürgerschaftlichen Engagements und damit auch eine eingeschränkte Legitimation
des örtlichen Gemeinwesens.
Die gegenwärtigen und in der Zukunft zu erwartenden Rahmenbedingungen ¿
insbesondere die demografische Entwicklung, die Entwicklung der öffentlichen
Finanzen wie auch der Wirtschaft- und Arbeitsmarktstruktur ¿ erfordern eine
nachhaltige Anpassung der gemeindlichen Strukturen.
Die Notwendigkeit für eine Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt hat
auch das von der Landesregierung in Auftrag gegebene Gutachten vom 19. Juni
2007 zur Wirtschaftlichkeit gemeindlicher Verwaltungsstrukturen festgestellt.
Die Gutachter kommen zu dem Ergebnis, dass sich das Modell der
Verwaltungsgemeinschaften nicht bewährt hat und empfehlen, die heutigen
Verwaltungsgemeinschaften durch Einheitsgemeinden oder Verbandsgemeinden zu
ersetzen.
Gegen das Modell der Verwaltungsgemeinschaften sprechen dabei nach
Auffassung der Gutachter die für die Zukunft zu erwartenden Veränderungen im
Land, insbesondere wird die demografische Entwicklung die Gemeinden im Land in
absehbarer Zukunft mit voller Wucht treffen, was negative Auswirkungen auch auf
die öffentlichen Finanzen hat. Angesichts dieser Rahmenbedingungen liegt es auf
der Hand, dass entsprechende Reaktionen vor allem in einer deutlichen weiteren
Zentralisation von Einrichtungen der Infrastruktur bestehen müssen, die in
Zukunft in den kleineren Orten immer weniger ausgelastet sein werden.
Die Durchführung einer solchen Konzentration, die aus
gesamtwirtschaftlicher Sicht unbedingt geboten erscheint, kann nur durch eine
starke kommunale Verwaltung erfolgen. Nach Auffassung der Gutachter fehlt den
heutigen Verwaltungsgemeinschaften eine entsprechende Kraft hierzu. Dem gemäß
können nur Einheitsgemeinden oder Verbandsgemeinden dazu in der Lage sein,
entsprechend harte Einschnitte zu realisieren.
Seit Bekanntwerden des Leitbildes der Landesregierung zur
Gemeindegebietsreform stehen in der landesweiten Kritik vielfach auch die
Maßstäbe, nach welchen die gemeindlichen Verwaltungsstrukturen im Land neu zu
gliedern sind. Hierzu möchte ich nur anmerken, dass die Erfahrungen mit
Gemeindestrukturreformen in westdeutschen Bundesländern, die vor mehr als 30
Jahren stattfanden, gezeigt haben, dass niemals ein hundertprozentiger Konsens über
eine Gemeindegebietsreform herbeigeführt werden kann. Wie man sich auch
entscheidet ¿ es wird immer kritische Stimmen geben. Dies würde übrigens auch
dann der Fall sein, wenn alles beim Alten gelassen wird.
Die heutige zweite Lesung des Entwurfes eines Begleitgesetzes ist ein
sehr wichtiger und notwendiger Schritt bei der Umsetzung der
Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt. Die Regelungen des Gesetzes
untersetzen die grundlegenden Aussagen und Zielvorstellungen des Leitbildes der
Landesregierung für die Reform der gemeindlichen Ebene.
Über die Art und Weise der Durchführung der Reform, wie der
Gesetzentwurf vorsieht, hat es vor Ort ¿ trotz vieler kritischer Stimmen gegen
das Reformvorhaben an sich ¿ bereits Bewegung gegeben und ist auch Bereitschaft
zur Veränderung erkennbar. Dies wurde in den Informationsveranstaltungen und
den sogenannten Kreiskonferenzen deutlich, die das Ministerium des Innern im
November durchgeführt hatte, um den hauptamtlichen und ehrenamtlichen
Bürgermeistern wie auch den Leitern der gemeinsamen Verwaltungsämter das
Leitbild und den Entwurf des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform zu
erläutern.
Anlässlich der bei diesen Veranstaltungen geführten Diskussionen hat
sich aber auch gezeigt, dass an der einen oder anderen Stelle des
Gesetzentwurfes Ergänzungsbedarf besteht, um bei der konkreten Umsetzung der
Gemeindegebietsreform den Bedürfnissen in der kommunalen Praxis Rechnung zu
tragen.
So sollte das Verfahren bei der Bildung von Verbandsgemeinden
vereinfacht werden. Bislang sieht der Gesetzentwurf vor, dass sich vor der
Bildung einer Verbandsgemeinde zunächst ausreichend große Gemeinden
zusammenschließen müssen, um die Mindesteinwohnergröße für eine
Mitgliedsgemeinde in einer Verbandsgemeinde zu erfüllen. Diese schrittweise
Bildung von mindestens 1 000 Einwohner großen Mitgliedsgemeinden und
anschließend von Verbandsgemeinden beansprucht einen nicht unwesentlichen
Zeitraum bei der Neustrukturierung. Um den zeitlichen Rahmen im Zusammenhang
mit der Bildung von Verbandsgemeinden erheblich zu verkürzen und das Verfahren
zu vereinfachen, sollte es den Gemeinden, die die Mindestgröße von 1.000
Einwohnern für eine Mitgliedsgemeinde in einer Verbandsgemeinde unterschreiten,
ermöglicht werden, die Bildung der Mitgliedsgemeinde und der Verbandsgemeinde
in einem Verfahrensschritt durchzuführen. Für die Gemeinden, die eine
leitbildgerechte Neugliederung im Rahmen der Gemeindegebietsreform im Wege des
Zusammenschlusses zu einer Verbandsgemeinde vornehmen wollen, würde der
zeitliche Rahmen innerhalb der Freiwilligkeitsphase erheblich erweitert.
In den Diskussionen des Ministeriums des Innern mit den
Verantwortlichen vor Ort, aber auch in der Anhörung der Kommunalen
Spitzenverbände vor dem Ausschuss für Inneres zum Gesetzentwurf ist darüber
hinaus auf ein Problem bei der Bildung von Einheits- und Verbandsgemeinden
hingewiesen worden. Sehr deutlich trat dabei zu Tage, dass es reformwilligen
Gemeinden kaum zu vermitteln ist, die freiwillige Phase ungenutzt verstreichen
lassen zu müssen, wenn sich nicht alle Mitgliedsgemeinden einer
Verwaltungsgemeinschaft an dem Prozess der Gemeindegebietsreform beteiligen, um
dann in der gesetzlichen Phase der gesetzgeberischen Entscheidung zur Bildung
einer Einheitsgemeinde mit sämtlichen Mitgliedsgemeinden der Verwaltungsgemeinschaft
zu unterliegen.
Dies würde im Grunde bedeuten, dass es Fälle geben kann, in denen eine
Minderheit eine Mehrheit majorisiert. Diese Situation ist weder angemessen noch
verhältnismäßig. Um die Akzeptanz der landesweiten Gebietsreform vor Ort im
Rahmen der Rechts auf kommunale Selbstverwaltung zu gewährleisten, muss dieses
Problem zum Anlass genommen werden, das im Gesetzentwurf verankerte Leitbild
zur Neugliederung der gemeindlichen Ebene zu ergänzen. Die Regelungen zur Bildung
von Einheitsgemeinden oder Verbandsgemeinden müssen so ergänzt werden, dass der
freiwillige Zusammenschluss einer Mehrheit von Mitgliedsgemeinden einer
Verwaltungsgemeinschaft zu einer Einheitsgemeinde oder Verbandsgemeinde stärker
honoriert wird.
Es gilt in erster Linie, den gemeindlichen Willen der sich
zusammenschließenden Gemeinden in den Vordergrund zu stellen. Auch muss das
System ergänzt werden, um die in Bürgeranhörungen oder Bürgerentscheiden
getroffenen Entscheidungen der befragten Bürgerinnen und Bürger sowie die
hierzu gefassten Beschlüsse der Gemeinderäte zu respektieren. Dies kann dadurch
gelöst werden, dass die Bildung von Einheits- und Verbandsgemeinden bereits
dann ermöglicht wird, wenn sich nicht alle Mitgliedsgemeinden einer Verwaltungsgemeinschaft
zusammenschließen, die Bildung einer Einheits- oder Verbandsgemeinde aber von
der überwiegenden Mehrheit der Mitgliedsgemeinden einer Verwaltungsgemeinschaft
gewollt ist. Dieser Weg ist konstruktiver für die Umsetzung der Reform und rückt
den gemeindlichen Willen der einzelnen Mitgliedsgemeinden, sich freiwillig an
der Gebietsreform zu beteiligen, in den Vordergrund.
Ich bin davon überzeugt, dass der Entwurf des Begleitgesetzes zur
Gemeindegebietsreform ein tragfähiges Fundament dafür ist, die Verwaltungs- und
Leistungskraft der Gemeinden und damit die kommunale Selbstverwaltung zu
stärken. Der Gesetzentwurf ist ein wichtiger Schritt für die Umsetzung eines
für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes wichtigen Reformvorhabens.¿
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