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Hövelmann fordert verlängerte
Bleiberechtsregelung

28.08.2009, Magdeburg – 184

  • Ministerium für Inneres und Sport

 

 

 

 

 

 

 

 

Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 184/09

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ministerium des Innern -

Pressemitteilung Nr.: 184/09

 

 

 

Magdeburg, den 28. August 2009

 

 

 

 

 

Hövelmann fordert verlängerte

Bleiberechtsregelung

 

Innenminister plädiert für ¿Entkriminalisierung des

Ausländerrechts¿

 

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann

(SPD) hat eine Anschlussregelung für die zum Jahresende auslaufende

Bleiberechtsregelung für geduldete Flüchtlinge gefordert. ¿Aufgrund der

Wirtschaftskrise haben manche Betroffene noch keine Arbeit aufnehmen können.

Deutschland tut sich keinen Gefallen, wenn diese Personen ihre Anstrengungen,

auf eige­nen ökonomischen Füßen zu stehen, jetzt abbrechen müssen, weil sie in

einen ungesicherten Rechtsstatus zurückfallen¿, sagte Hövelmann in Magdeburg.

Er appellierte an die Innen­minister von CDU und CSU, zu einer gemeinsamen,

prakti­kablen Lösung zu kommen.

 

Hövelmann äußerte

sich bei einer Fachtagung zum Thema ¿Irreguläre Migration¿, die sich mit den

Problemen und Folgen illegaler Zuwanderung befasst. Der Innenminister sprach

sich dabei für eine ¿Entkriminalisierung des Ausländerrechts¿ aus. Bei

Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz sollten nur noch ¿wirklich kriminelle

Akte¿ strafbewehrt sein. Insbesondere soll­ten Menschen, die sich aus

humanitären Gründen für Migranten ohne Papiere engagieren, dafür keine

Strafverfolgung mehr befürchten müssen.

 

Die Rede im Wortlaut:

 

¿Ich freue mich, dass ich heute zu Ihnen über ein

Thema spre­chen kann, dass mir sehr wichtig ist. Für einen Innenminister, der

sowohl für die Durchsetzung der gesetzlichen, also auch der

ausländerrechtlichen Bestimmungen verantwortlich ist als auch für die

Integration von Zuwanderern und den Schutz von Flücht­lingen, ist es gleichwohl

kein einfaches Thema. Aus dieser doppelten Sicht eines Innenministers möchte

ich einige Thesen zur Problematik irregulärer Migration zur Diskussion stellen:

 

Erste These: Illegale Zuwanderung

und illegaler Aufenthalt sind ein Ergebnis politischer Weichenstellungen.

 

Es gibt im Prinzip nur drei Gründe dafür, illegal

nach Deutschland zu kommen. Der erste Grund ¿ und sicherlich der seltenste ¿

ist, wenn sich jemand tatsächlich in krimineller Absicht im Untergrund

aufhalten will; der zweite Grund ist, wenn jemand hierher verschleppt wird wie

zum Beispiel die Opfer von Zwangsprostitution. Der dritte Grund, und

hauptsächlich darüber reden wir heute, wenn jemand tatsächlich oder

vermeintlich keine Möglichkeit zum legalen Aufenthalt hat. Mit anderen Worten:

Illegale Migration ist verhinderte legale Migration.

 

Wer sich also mit dem Problem irregulärer Migration

auseinandersetzen will, der darf sich nicht auf die Durchsetzung des

Ausländerrechts und auch nicht auf humanitäre Erleichterungen beschränken,

sondern muss die Frage stellen: Welche Möglichkei­ten zur legalen Zuwanderung

und zur Legalisierung des Aufenthalts bieten wir an? Wer sich dieser Frage

zuwendet, wird schnell feststellen, dass es viel zu beschränkte Möglichkeiten

sind. Die Perspektiven für Migration, Integration und Einbürgerung in

Deutschland sind völlig unzureichend, gemessen am Bedarf unserer Wirtschaft, un­seres

Sozialstaats und an humanitären Kriterien.

 

Weder der Tod von Flüchtlingen auf dem Meer noch

ein Leben von Migranten in ständiger Angst vor Entdeckung sind etwas, womit

sich die reichen Gesellschaften Europas, die zugleich Zuwanderung dringend

brauchen, abfinden könnten. Nur wenn wir die Weichen in Richtung regulärer

Migration neu stellen, nur dann werden wir Menschen davon abhalten, illegale

Wege nach Europa und nach Deutschland zu suchen.

 

Zweite These: Zahlenmäßig ist

irreguläre Migration in Sachsen-Anhalt schwach aus­geprägt. Deshalb können wir

damit besonders gelassen umgehen.

 

Illegal hier lebende Ausländer stellen in

Sachsen-Anhalt nur eine verhältnismäßig kleine Gruppe dar. Wenn man die

polizeiliche Kriminalstatistik zugrunde legt, kann man sogar davon ausgehen,

dass die Zahl in den letzten zehn Jahren stark zurück­gegangen ist. Im

Bundesgebiet sind die in der Statistik erfassten Fälle illegalen Auf­enthalts

von 128.000 im Jahr 1999 auf etwa 51.000 im Jahr 2008 gesunken. In

Sachsen-Anhalt war diese Entwicklung mit einem Rückgang von 1.200 auf 200 Per­sonen

noch signifikanter. Im Verhältnis der Landes- zu den Bundeszahlen beträgt der

Anteil Sachsen-Anhalts an der Gesamtzahl der bundesweit erfassten Personen

somit etwa 0,4 Prozent.

 

Dies ist auch verständlich, da im Land nur relativ

kleine ausländische Gemein­schaften existieren und auch der Arbeitsmarkt des

Landes keinen großen Sogeffekt ausüben wird. Eine Gemeinschaft von Landsleuten,

in der man sich unauffällig be­wegen kann und deren Netzwerk Unterstützung

gewährt sowie die Möglichkeit, durch Erwerbstätigkeit Geld zu verdienen, sind

aber nach allen wissenschaftlichen Er­kenntnissen die entscheidenden Faktoren

für ein längerfristiges Leben in der Illega­lität.

 

Die Gruppe der irregulären Migranten ist nach den

vorliegenden Erkenntnissen sehr heterogen. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit

dürfte ein zentrales, aber nicht aus­schließliches Motiv für einen illegalen

Aufenthalt sein. Zur Gruppe der Illegalen gehö­ren Menschen in den

unterschiedlichsten Lebenssituationen.

 

Soweit bekannt, liegt der Schwerpunkt bei der

Altersstruktur Illegaler zwischen 20 und 40 Jahren. Es befinden sich aber auch

ältere, nachgezogene Migranten und eine nicht zu vernachlässigende Anzahl von

Kindern in der Illegalität.

 

Zumeist sind illegal aufhältige Migranten

alleinstehend. Das Geschlechterverhältnis korreliert stark mit den

Beschäftigungsmöglichkeiten; beispielsweise sind Frauen aufgrund der dort hohen

Nachfrage nach Haushaltshilfen eher in westdeutschen Städten vertreten.

Räumliche Schwerpunkte finden sich insbesondere in Groß­städten und vor allem

dort, wo Anschlussmöglichkeiten an jeweilige nationale Netz­werke bestehen.

 

Dritte These: Im Umgang mit

Menschen in der Illegalität geht es neben der Durch­setzung

ausländerrechtlicher Bestimmungen auch um die pragmatische Lösung humanitärer

Probleme.

 

Solange ein illegal hier lebender Ausländer gesund

ist, keine Kinder hat, sich seinen Lebensunterhalt durch eine Beschäftigung

sichert und er hierbei nicht mit der Fi­nanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls

oder der Polizei in Berührung kommt, mag ein Leben unbehelligt von den

deutschen Behörden durchaus möglich sein.

 

Aber wie jedermann können irreguläre Migranten

krank werden, ihre Arbeit verlieren und in Not geraten, ihre Kinder erreichen

irgendwann das schulpflichtige Alter. Dies sind Situationen, in denen ein Leben

in der Illegalität an seine Grenzen stößt, da die Betroffenen in diesen Fällen

auf die Daseinsvorsorge des Staates angewiesen sind. Und hier wirken die

Übermittlungspflichten nach dem Aufenthaltsgesetz häufig als abschreckendes

Instrument.

 

Eine Krankenbehandlung ist grundsätzlich möglich.

Neben der privaten Kranken­behandlung hat ein illegal in Deutschland lebender

Ausländer aber auch Anspruch auf bestimmte Leistungen nach dem

Asylbewerberleistungsgesetz. Ein Schulbesuch ist ebenfalls grundsätzlich

möglich. Bei Arbeitsaufnahme entsteht ein Lohnanspruch, der auch einklagbar

ist. Der entscheidende Punkt ist also nicht das Fehlen eines An­spruchs,

sondern die Gefahr einer Aufdeckung des illegalen Aufenthalts aufgrund der

Übermittlungspflicht öffentlicher Stellen.

 

Im Spagat zwischen diesen unterschiedlichen

Aufgaben und Ansprüchen des Staa­tes bin ich für jeden Vorschlag dankbar, der

zur praktischen Verbesserungen in der humanitären Situation der betroffenen

Migrantinnen und Migranten und ihrer Kinder führt. So hat besipielsweise hinsichtlich

des Schulbesuchs von Kindern illegal hier lebender Ausländer der sonst nicht

für überbordende Liberalität bekannte Bundes­innenminister Dr. Schäuble eine

Einschränkung der Übermittlungspflichten befür­wortet. Er hat sich damit auf

die Position meiner eigenen Partei zubewegt. Insbeson­dere für den Bereich des

Schulbesuchs besteht in der Tat das Problem, dass Kin­dern aufgrund des

elterlichen Verhaltens eventuell ein Schulbesuch vorenthalten wird. Sie können

dadurch in ihrer Entwicklung verzögert werden, verlieren Zukunfts­chancen und

haben schlechtere Integrationsbedingungen.

 

Aber auch durch

einen Verzicht auf die Übermittlungspflicht im Aufenthaltsgesetz kann nicht

ausgeschlossen werden, dass die Ausländerbehörde Kenntnis von dem illegalen

Aufenthalt erlangt, zum Beispiel durch anonyme Anzeigen. Die Problematik, dass

Eltern aus Angst vor Entdeckung ihre Kinder nicht zur Schule schicken und ihnen

damit Bildungschancen vorenthalten, kann daher allein durch eine Änderung des

Aufenthaltsgesetzes im Bildungsbereich nicht gänzlich ausgeräumt werden.

 

Vierte These: Humanitäre

Erleichterungen  des illegalen

Aufenthalts sind auf Dauer keine Lösung, da es sich in jedem Fall um höchst

prekäre Lebenssituationen handelt.

 

So nutzt ein legaler Schulbesuch auch nur sehr

eingeschränkt, wenn mit dem erlangten Abschluss keine Arbeitsaufnahme möglich

ist.

 

Ich erinnere außerdem an die Fälle, in denen

irreguläre Migranten von Menschen­händlern als billige Arbeitskraft ausgenutzt

werden und ihr illegaler Status auch be­wusst als Druckmittel eingesetzt wird.

Dies können wir auch aus sozialer Verantwor­tung nicht wollen. Wir müssen in

umgekehrter Weise ein gemeinsames Interesse daran haben, dass diese Personen

sich erstmals oder erneut dem ausländerbehörd­lichen Verfahren stellen und in

diesem Kontext auch versuchen, die damit verbunde­nen humanitären und sozialen

Fragen zu lösen.

 

Fünfte Thesen: Wir sollten das

Ausländerrecht an entscheidender Stelle entkriminali­sieren.

 

Ich möchte hier für eine Lockerung der

Strafvorschriften des § 95 Aufenthaltsgesetz plädieren. Diese Strafnorm

betrifft nicht nur die betroffenen Ausländer selbst, son­dern auch ihre

Unterstützer und Helfer, die sich der Gefahr einer strafbaren Beihilfe

ausgesetzt sehen.

 

So sind unter anderem strafbar: der Aufenthalt ohne

Pass, der Aufenthalt ohne gülti­gen Aufenthaltstitel oder Duldung, die Einreise

ohne Pass oder Aufenthaltstitel. Dies sind im Wesentlichen die

Strafvorschriften, gegen die irreguläre Migranten versto­ßen. Zudem macht sich

strafbar, wer wiederholt einer räumlichen Beschränkung zu­widerhandelt. Die

übrigen Vorschriften betreffen Falschangaben durch Ausländer, die

Mitgliedschaft in Geheimorganisationen oder Auflagen im Rahmen von Maßnahmen

der inneren Sicherheit.

 

Es stellt sich hier die Frage, ob bei den genannten

Vorschriften in jedem Einzelfall wirklich schon ein strafrechtliches Unrecht

vorliegt, das im Zweifel mit Freiheits­strafen geahndet werden muss.

 

In der Praxis werden zwar oftmals

Ermittlungsverfahren eingeleitet. Häufig wird auf die Strafvorschriften des §

95 Aufenthaltsgesetz in Gerichtsverfahren nur im Zusam­menhang mit anderen

Straftaten zurückgegriffen. Auch ist die Praxis nach den hier vorliegenden

Erfahrungen zwischen den verschiedenen Gerichten in Deutschland sehr

uneinheitlich. Meines Erachtens ist es durchaus in Erwägung zu ziehen, diese

Strafvorschriften zu streichen oder zu ändern. Das Ausländerrecht könnte in

diesem Punkt entscheidend entkriminalisiert werden und man könnte zugleich die

strafrecht­lichen Vorschriften auf Taten mit tatsächlichem kriminellem

Unrechtsgehalt fokussie­ren.

 

Wenn man diesen Weg gehen

wollte, dann würde sich auch die Frage der Straf­barkeit von Helfern, außer bei

wirklich kriminellen Akten, nicht mehr stellen. Men­schen, die humanitäre Hilfe

für einen Illegalen leisten, müssen dann nicht mehr be­fürchten, sich strafbar

zu machen.

 

Ein illegaler Ausländer, der sich einem asyl- oder

aufenthaltsrechtlichen Verfahren stellen will, muss gegenwärtig ein

strafrechtliches Verfahren wegen seines illegalen Aufenthalts bzw. seiner

illegalen Einreise befürchten. Durch Streichung oder Ände­rung der

Strafvorschriften des § 95 Aufenthaltsgesetz entfiele diese Hemmschwelle auf

dem Weg zur Legalität. Auch entfielen so bei Ausländern zahlreiche strafrechtli­che

Verurteilungen, die sich in einem aufenthaltsrechtlichen Verfahren oft als

hinder­lich für eine mögliche Aufenthaltsverfestigung erweisen. Durch

entsprechende Ände­rungen der Strafvorschriften des Aufenthaltsgesetzes könnte

so ein entscheidender Schritt in Richtung Legalisierung und Verfestigung des

Aufenthalts für viele Auslän­der erreicht werden.¿

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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