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Hövelmann stellt Verfassungsschutzbericht
2006 vor

18.07.2007, Magdeburg – 176

  • Ministerium für Inneres und Sport

 

 

 

 

 

 

 

 

Ministerium des Innern - Pressemitteilung Nr.: 176/07

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ministerium des Innern -

Pressemitteilung Nr.: 176/07

 

 

 

Magdeburg, den 18. Juli 2007

 

 

 

 

 

Hövelmann stellt Verfassungsschutzbericht

2006 vor

 

- Weiterer

Anstieg rechtsextremistischer Straftaten

 

- Gleichzeitige Zunahme des rechtsextremistischen

Personenpotenzials

 

- Bedrohung durch internationalen islamistischen Terrorismus

stellt hohe Anforderungen an die Sicherheitsbehörden

 

In

ihrer gestrigen Kabinettssitzung hat die Landesregierung den von Innenminister

Holger Hövelmann (SPD) eingebrachten Verfassungsschutzbericht 2006 beschlossen.

Dieser in­zwischen 15. Verfassungsschutzbericht für das Land Sachsen-Anhalt

informiert über die wesentlichen Entwicklungen in den Bereichen des politischen

Extremismus und beschreibt darüber hinaus die weiteren Arbeitsfelder der

Verfassungsschutz­behörde und die rechtlichen Grundlagen ihrer Arbeit.

 

Hövelmann:

¿Der Rechtsextremismus ist längst keine Rand­erscheinung unserer Gesellschaft

mehr, sondern stellt nach wie vor eine zentrale Herausforderung für Staat und

Zivilgesell­schaft dar. Von der Öffentlichkeit weitgehend

unbeachtet sind Strukturen entstanden, die unsere freiheitlich-demokratische

Grundordnung in Frage stellen. Der Rechtsextremismus beginnt langsam, die

Alltagskultur zu durchdringen. Die von ihm aus­gehenden Gefahren haben weiter

zugenommen. Jeder von uns muss verinnerlichen, dass der Rechtsextremismus einen

konkreten Schaden für uns alle bedeutet, sei es durch die von ihm ausgehende

Verhöhnung demokratischer Werte oder ¿ schlimmer noch - durch die brutale

Gewalt, die Menschen aus unserer Mitte oft willkürlich trifft.¿

 

Der

menschenverachtende Übergriff auf einen zwölfjährigen Jungen in Pömmelte und

das Verbrennen des Tagebuchs der Anne Frank in Pretzien seien die weithin

sichtbaren Zeichen der vom Verfassungsschutz bilanzierten Entwicklung, die eine

weitere Vergrößerung des rechtsextremistischen Personenpotenzials und damit

einhergehend eine Zunahme des entsprechenden Straftatenaufkommens ausweise.

 

Der

Minister betonte, dass er nicht die Augen davor verschließe, dass es mehrere Fälle

gegeben habe, in denen das Vorgehen einzelner Bediensteter gegen Rechts­extremisten

nicht zum gewünschten Erfolg führte. Dies werde nicht verschwiegen, sondern als

Anlass zum Gegensteuern gesehen.

 

¿Nachdem

uns die Fälle bekannt wurden, haben wir umgehend reagiert und konkrete

Maßnahmen ergriffen. Dabei setzen wir insbesondere auf eine erweiterte

verstärkte Aus- und Fortbildung unserer Bediensteten, auf die Verbesserung der

Zusammen­arbeit der Sicherheitsbehörden und Kommunen und auf eine verstärkte

Sensibili­sierung der Bürgerinnen und Bürger über eine gezielte

Öffentlichkeitsarbeit der Behörden.¿

 

Dies

habe bereits Früchte getragen. So würden beispielsweise Schmierereien mit

rechtsextremistischem Hintergrund oder politisch motivierte

Auseinandersetzungen bzw. das Abspielen rechtsextremistischer Musik inzwischen

deutlich häufiger zur Anzeige gebracht.

 

Neben

dem Rechtsextremismus beobachte der Verfassungsschutz weiterhin aufmerksam die

Entwicklungen in den anderen Extremismusbereichen. Dies gelte insbesondere für

die latenten Gefahren, die sich aus der Tatsache ergäben, dass inzwischen auch

Deutschland zum Zielspektrum des internationalen islamistischen Terrorismus zu

rechnen sei.

 

 

 

Die wichtigsten Themenbereiche im Einzelnen:

 

 

 

I.   Rechtsextremismus

 

 

 

Die

Gesamtzahl der Rechtsextremisten in Sachsen-Anhalt stieg im Berichtsjahr 2006

erneut an. Diese Entwicklung ist insbesondere einer deutlichen Zunahme des

gewalt­bereiten rechtsextremistischen Spektrums geschuldet, das sich gegenüber

dem Vorjahr um 150 Personen vergrößerte. Der überwiegende Teil parteigebundener

Rechtsextremisten ist in der ¿Nationaldemokratischen Partei Deutschlands¿ (NPD)

organisiert. Die Mitglieder der NPD-Jugendorganisation ¿Junge

Nationaldemokraten¿ (JN) sind fast ausschließlich der Neonaziszene zuzurechnen.

 

 

 

 

 

 

 

Rechtsextremisten[1]

 

 

2005

 

 

2006

 

 

 

 

Parteien und Vereinigungen

 

 

440

 

 

400[2]

 

 

 

 

Neonazis

 

 

250

 

 

250

 

 

 

 

Gewaltbereite Rechtsextremisten

 

 

650

 

 

800

 

 

 

 

Sonstige Personenzusammenschlüsse

 

 

120

 

 

120

 

 

 

 

Gesamt:

 

 

1.460[3]

 

 

1.570[4]

 

 

 

 

In

Sachsen-Anhalt stieg die Anzahl gewaltbereiter

Rechtsextremisten auf 800 Personen. Der Anteil der

rechtsextremistischen Skinheads ist innerhalb dieses Personenkreises

rückläufig, was insbesondere über das äußere Erscheinungsbild Ausdruck findet.

Bomberjacke, Springerstiefel und ¿Doc Martens¿-Schuhe werden auch in Sachsen-Anhalt

zunehmend von Stilelementen des jugendlichen Mainstreams verdrängt. Modische

Kleidung bestimmter Marken, Piercings und der Einfluss anderer subkultureller

Strömungen, wie zum Beispiel der Hardcore-Szene, etablieren sich auch im

Rechtsextremismus.

 

Das

Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt registrierte für das Jahr 2006 1.240 politisch

motivierte Straf- und Gewalttaten[5]

¿rechts¿ (2005: 1.130). Damit stieg die Anzahl der Straftaten erneut über das

Vorjahresniveau an. Eine vergleichbare Entwicklung gab es auch auf Bundesebene.

Der Anstieg der Straftatenzahlen ist sowohl auf das personelle Anwachsen der

subkulturellen Szene als auch auf eine erhöhte Sensibi­lität von Öffentlichkeit

und Sicherheitsbehörden sowie auf die Erhöhung des Ermitt­lungsdrucks von

Polizei und Justiz zurückzuführen. Dies drückt sich unter anderem in einem erhöhten

Anzeigenaufkommen aus. Eine Rolle spielt in diesem Zusammen­hang auch die hohe

polizeiliche Präsenz und Kontrollintensität anlässlich der Fuß­ball-WM 2006.

Die Anzahl der politisch motivierten Gewaltdelikte ¿rechts¿ stieg auf 122 an

(2005: 116). Regionale Gewaltschwerpunkte waren die Regionen Magdeburg und

Dessau. Im Landesdurchschnitt wurden 5 Gewalttaten je 100.000 Einwohner verübt.

 

 

Deutlich

gestiegen ist das Straftatenaufkommen an oder im Umfeld von Schulen. Einen

Schwerpunkt bildete hierbei das Verwenden von Kennzeichen verfassungs­widriger

Organisationen.

 

Der Besuch von rechtsextremistischen Konzerten stellt

nach wie vor ein bestimmen­des Element im Leben subkulturell geprägter

Rechtsextremisten dar.[6]

Diesen Lebensstil nutzen sowohl rechtsextremistische Gruppierungen als auch

rechtsextre­mistische Parteien wie zum Beispiel die NPD aus, um ihre

Weltanschauung mit Hilfe der Musik zu verbreiten. Die Zahl der in

Sachsen-Anhalt durchgeführten Musikveran­staltungen stieg im Berichtsjahr auf

14 einschlägige Konzerte (2005: 11) an. Diese Entwicklung ist auch darauf

zurückzuführen, dass die rechtsextremistische Szene nach Wegen sucht, dem

staatlichen Druck auszuweichen und ein Eingreifen der Sicherheitsbehörden zu erschweren.

So wurde eine Reihe von Konzerten stark konspirativ vorbereitet, als private

Feiern angemeldet oder auf Privatgrundstücken, deklariert als ¿geschlossene

Veranstaltungen¿, durchgeführt. Konzertveranstaltungen mit

rechtsextremistischen Szenebands veranlassen die Teilnehmer immer wieder zu

strafbaren Handlungen wie zum Skandieren nationalsozialistischer Parolen, zum

Entbieten des ¿Hitlergrußes¿ oder zum Verwenden von Kennzeichen verfassungs­widriger

Organisationen. Beispielhaft ist hierfür eine Konzertveranstaltung am 6. Januar

2006 in Neugattersleben (ehemals Landkreis Bernburg), in deren Verlauf Lieder

mit rassistischen und fremdenfeindlichen Inhalten sowie den historischen

Nationalsozialismus glorifizierende Lieder vorgetragen wurden. Konzertbesucher

zeigten zudem wiederholt den ¿Hitlergruß¿.

 

Im Berichtszeitraum haben in Sachsen-Anhalt sieben

Online-Vertriebe ihr rechtsex ­ tremistisches

Material über professionell gestaltete Webseiten zum Kauf angeboten. Zudem

verkauften drei Vertriebe ihre Ware zusätzlich in angeschlossenen Ladenge­schäften.

Letztere dienten auch hier als Treffpunkte der regionalen Szene. Daneben traten

Einzelhändler auf, die auch ohne Gewerbeanmeldung das entsprechende Sortiment

am Rande von Skinheadkonzerten oder anderen rechtsextremistischen

Veranstaltungen verkauften.

 

Das Amtsgericht Stendal hat mit Urteil vom 8. Februar

2006 Lutz WILLERT als Auftraggeber der 50.000 so genannten Schulhof-CDs

¿Anpassung ist Feigheit ¿ Lieder aus dem Untergrund¿ vom Vorwurf des

Vorrätighaltens eines schwer jugendgefährdenden Trägermediums erstinstanzlich

freigesprochen. Nach Auffas­sung des Schöffengerichts sind die Inhalte der CD

zwar rechtsextremistisch, system­feindlich und jugendgefährdend, jedoch nicht

offensichtlich schwer jugendgefähr­dend. Die Staatsanwaltschaft Halle hat

Revision gegen das Urteil eingelegt. Damit hat der allgemeine bundesweite Beschlagnahmebeschluss

des Amtsgerichts Halle vom 4. August 2004 vorerst weiterhin Bestand. Das

Oberlandesgericht Naumburg hat der Revision der Staatsanwaltschaft

stattgegeben. Damit wird der Prozess um den Vertrieb der Schulhof-CD erneut vor

dem Amtsgericht in Stendal verhandelt werden.

 

II.

Linksextremismus

 

Die Gesamtzahl der Linksextremisten stieg in Sachsen-Anhalt im

Berichtsjahr leicht an. Dies ist insbesondere auf eine Zunahme der Mitglieder

und Anhänger der hier existierenden linksextremistischen Parteien und Organisationen

zurückzuführen.

 

 

 

 

 

 

Linksextremisten[7]

 

 

2005

 

 

2006

 

 

 

 

Parteien und sonstige Gruppierungen

 

 

245

 

 

270

 

 

 

 

Autonome

 

 

290

 

 

300

 

 

 

 

Gesamt:

 

 

535

 

 

570

 

 

 

 

Das Landeskriminalamt

Sachsen-Anhalt registrierte für das Berichtsjahr 291 politisch motivierte Straftaten

¿links¿ (2005: 222). In geringem Umfang nahm auch der Anteil der entsprechend

motivierten Gewalttaten zu. Ein Großteil der diesbezüglich festge­stellten 70

Delikte (2005: 65) richtete sich gegen tatsächliche oder vermeintliche

Rechtsextremisten.

 

Schwerpunktregionen

der etwa 300 Personen umfassenden Autonomenszene in Sachsen-Anhalt waren im

Berichtszeitraum die Städte Magdeburg und Halle. Aktivitäten in der Harzregion

haben zugenommen. Namentlich machten insbeson­dere Gruppierungen wie die

¿Gruppe Internationale Solidarität¿ (GIS) und das ¿Antifaschistische Infoportal¿(AIP)

aus Magdeburg auf sich aufmerksam. Daneben gab es Neugründungen wie die

¿Autonome Antifa Magdeburg¿ (AAMD) und die ¿Jugend-Antifa Harz¿ (JAH).

 

Autonome

reagierten in stärkerem Maße als bisher auf öffentlichwirksame Aktivitäten von

Rechtsextremisten. Dies geschah sowohl durch Gegendemonstrationen aber auch

durch so genannte dezentrale Gegenaktionen. Im Zuge des Landtagswahl­kampfes Anfang des Jahres wurde eine

Vielzahl von Sachbeschädigungen verübt.

 

In

den meisten Fällen wurden Wahlplakate rechtsextremistischer Parteien beschmiert

oder zerstört.

 

Unter

dem Motto ¿Antifa heißt Angriff!¿ suchten Autonome zudem die direkte Konfrontation

mit vermeintlichen oder erkannten Personen des gegnerischen politischen Lagers.

 

Im

Berichtszeitraum war ein leichter Anstieg linksextremistisch motivierter Gewalt­taten

gegenüber Rechtsextremisten zu verzeichnen. Von den linksextremistischen

Parteien und Vereinigungen sind in Sachsen-Anhalt die

¿Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands¿ (MLPD), die ¿Deutsche Kommunistische

Partei¿ (DKP), deren Jugendorganisation ¿Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend¿

(SDAJ) und die ¿Kommunistische Partei Deutschlands¿ (KPD/Ost) sowie die ¿Freie

Arbeiterinnen und Arbeiter-Union ¿ Internationale Arbeiter Assoziation¿

(FAU-IAA) mit eigenen Strukturen vertreten.

 

Bei

den sachsen-anhaltischen Landtagswahlen blieben linksextremistische Parteien

und Wahlbündnisse trotz eines im Vergleich zu früheren Wahlen gesteigerten

Aufwandes erfolglos.

 

III. Sicherheitsgefährdende

und extremistische Bestrebungen von Ausländern

 

Die

Bedrohung durch den internationalen islamistischen Terrorismus stellte auch

2006 eine große Herausforderung für die Sicherheitsbehörden dar. Die Zahl der

weltweiten Terroranschläge nahm stetig zu. Auch europäische Länder rücken

zunehmend in den Fokus des islamistischen Terrorismus. Dies trifft leider auch

auf Deutschland zu. Belegt wird diese Aussage unter anderem durch die

glücklicher­weise fehlgeschlagenen Sprengstoffattentate auf zwei Regionalzüge

der Deutschen Bahn AG, die in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und

Rheinland-Pfalz unterwegs waren.

 

Die Gewährleistung der Sicherheit erfordert eine

intensive Zusammenarbeit aller in diesem Bereich tätigen Behörden. Mit der

Einrichtung des ¿Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums¿ (GTAZ) in Berlin und

der Umsetzung verschiedener anderer Vorhaben ¿ wie zum Beispiel der Errichtung

einer gemeinsamen Antiterror­datei ¿ wurden weitere Maßnahmen getroffen, um

dieser Entwicklung Rechnung zu tragen. Aktivitäten islamistischer

Organisationen in Sachsen-Anhalt wurden nicht bekannt. Allerdings liegen der

Verfassungsschutzbehörde Informationen über Einzelpersonen vor, die in

Sachsen-Anhalt wohnen, aber strukturell in Aktivitäten extremistischer Gruppierungen

in anderen Bundesländern oder im internationalen Raum eingebunden sind.

 

Impressum:Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-AnhaltVerantwortlich:Danilo WeiserPressesprecherHalberstädter Straße 2 / am "Platz des 17. Juni"39112 MagdeburgTel: (0391) 567-5504/-5514/-5516/-5517/-5377Fax: (0391) 567-5520Mail: Pressestelle@mi.sachsen-anhalt.de