Menu
menu

Teil 3: Islamismus

Der Islamismus ist eine Form des religiös legitimierten politischen Extremismus. Er ist abzugrenzen vom Islam als Weltreligion, deren Ausübung in den Bereich der Religionsfreiheit fällt und durch Artikel 4 des Grundgesetzes geschützt ist. Der Islamismus hingegen ist eine politische Ideologie, die den Anspruch erhebt, die freiheitliche demokratische Grundordnung durch einen totalitären Gottesstaat zu ersetzen. Hierbei greifen Teile der islamisch-extremistischen Szene gezielt auf Gewalt und Terror zurück.

Es existiert eine Vielzahl von islamistischen Gruppierungen, welche sich hinsichtlich ihrer ideologischen Prämissen, Strategien, Mittel und geographischen Orientierungen unterscheiden und teils sogar gegenseitig bekämpfen. So sind im Land Sachsen-Anhalt einerseits legalistische Islamisten aktiv. Sie versuchen, mit vielfältigen Anstrengungen langfristig Einfluss auf Politik und Gesellschaft zu nehmen, um diese nach ihrem extremistischen Islamverständnis umzuformen. Diese Strategie wird in Sachsen-Anhalt vor allem von Personen angewandt, die der Muslimbruderschaft nahestehen.

Darüber hinaus liegen dem Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt auch Erkenntnisse zu Personen aus dem salafistischen und jihadistischen Spektrum vor. Jihadisten sehen sich selbst als "Mujahidin" (Kämpfer, Gotteskrieger). Der bewaffnete Kampf und terroristische Aktionen sind ihre bevorzugten Mittel, um einen totalitären Gottesstaat zu errichten. Die bekanntesten Organisationen sind der "Islamische Staat" (IS) und die regionalen Vertreter von Al-Qaida. Aus diesem islamistischen Spektrum sind in Sachsen-Anhalt insbesondere Einzelpersonen ohne feste Einbindung in jihadistische Szenen relevant. Aus Sachsen-Anhalt reisten in der Vergangenheit einzelne Personen aus, um sich in der Region Syrien und Irak terroristischen Gruppierungen anzuschließen.

Die islamistischen Netzwerke im Land Sachsen-Anhalt haben seit Mitte der 2010er Jahre einen spürbaren Personenzuwachs erfahren. Dies liegt sowohl an einer besseren Erkenntnislage der Sicherheitsbehörden als auch an einer tatsächlichen Erhöhung des Personenpotenzials, welches in Sachsen-Anhalt vorwiegend aus Personen mit Migrationshintergrund besteht. Die Gefahr eines Anschlags von Personen aus dem jihadistischen Gewaltspektrum ist nach wie vor abstrakt hoch.

Die Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde besteht zum einen in der nachrichtendienstlichen Sammlung und Auswertung von Informationen über  islamistische Aktivitäten und zum anderen in der Bereitstellung von Handlungsempfehlungen sowie in der Durchführung von Maßnahmen in der Islamismusprävention.

Die folgende Darstellung bietet zusammenfassende Informationen zu diesen Aufgabenfeldern der Verfassungsschutzbehörde. Weiterführende Angaben und Bewertungen finden Sie in unserem aktuellen Verfassungsschutzbericht.

 

1. Was versteht der Verfassungsschutz unter „Islamismus“?

Der Begriff des „Islamismus“ beschreibt in deutlicher Abgrenzung zum Begriff „Islam“ eine politische Weltanschauung, die radikale Ziele und Ideale moderner totalitärer Ideologien aufgreift und in einem religiös-islamischen Kontext umzusetzen versucht. Aufgrund des politisch-ideologischen Charakters beginnt Islamismus dort, wo religiöse Gebote des Islams als verbindliche politische Handlungsanweisungen gedeutet werden. Andere gesellschaftliche Modelle werden als „unislamisch“ bzw. „ungläubig“ bekämpft.

Folgende Merkmale kennzeichnen die islamistischen Gesellschafts- und Staatsmodelle:

  • Sie sehen den Islam nicht nur als Glauben, Ethik und rituelle Praxis, sondern als eine das ganze Leben umfassende Lebensordnung, die ansonsten rein weltliche Lebensbereiche umfassend bestimmen soll.
  • Die Scharia, das „islamische Gesetz“, betrachten sie als grundlegendes politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip, das sich auch auf private und staatliche Bereiche erstreckt und vorrangige Beachtung vor anderen säkular-rechtlichen Regelungen beansprucht.
  • Koran und Sunna, das heißt die Überlieferung der Reden und Taten des Propheten Muhammad, haben für Islamisten „Verfassungsrang“ und verbindliche Vorbildfunktion für politisches Handeln unabhängig davon, in welchem Land der einzelne Muslim gerade lebt.
  • Ziel ist – ungeachtet von Strategie und Zeitdauer – die Errichtung eines „islamischen Staates“, in der die Scharia volle Gültigkeit besitzt und zum alleinigen Maßstab allen privaten, gesellschaftlichen und staatlichen Handelns geworden ist.

 

2. Welche islamistischen Strömungen gibt es?

Die islamistische Gesamtströmung eint das Ziel, politisch-administrative Ordnungs- und Gesetzesvorstellungen im Lichte der Vorgaben aus Koran und Sunna so zu implementieren, dass Staat und Religion eine Einheit bilden. Dieses Ziel verfolgen Islamisten entweder auf salafistische, jihadistische oder legalistische Art und Weise. Während das politisch-religiöse Ziel jeweils dasselbe ist – die Errichtung eines islamischen Staates unter Gottes Souveränität als oberstem Gesetzgeber –, unterscheiden sich die einzelnen Strömungen darin, auf welche Weise, mit welchen Mitteln und mit welchen Zeitvorstellungen sie dieses Ziel verfolgen.

 

2.1 Salafismus

Der „Salafismus“ ist eine besonders strikte und unduldsame Strömung innerhalb des islamistischen Spektrums. Der Begriff des „Salafismus“ lehnt sich an das Selbstverständnis von Salafisten an, wonach Handlungen und Anschauungen des Propheten Muhammad und der drei nachfolgenden Generationen „rechtschaffener Altvorderer“ (Arab.: al-salaf as-salih) bereits jetzt und heute als verbindlich zu gelten haben und nicht erst dann, wenn ein „islamischer Staat“ errichtet worden ist. Die frühislamische Gemeinde (vom 7. bis 9. Jh. u. Z.) wird nicht nur als das „Goldene Zeitalter“ des Islams idealisiert, sondern darüber hinaus als vorbildliche Richtschnur betrachtet, der detailgetreu und kompromisslos zu folgen ist. Dieser Rückwärtsgewandtheit der Salafisten hin zu einem vormodernen Lebenswandel liegt die Vorstellung zugrunde, dass das damalige „Goldene Zeitalter“ in der heutigen modernen Gesellschaft wiederholt werden muss, so dass dem Islam wieder zur alten Stärke verholfen werden kann. Voraussetzung hierfür ist aus salafistischer Sicht die Umgestaltung von Staat und Gesellschaft nach dem Vorbild der frühislamischen Gemeinde. 

 

2.2 Jihadismus

Unter dem Begriff „Jihadismus“ werden innerhalb des islamistischen Spektrums militante Strömungen und Gruppierungen sowie Terrororganisationen zusammengefasst. Sie kennzeichnet eine Gewaltbefürwortung und -ausübung als „Jihad für die Sache Gottes“. Der Begriff „Jihad“ macht deutlich, dass es nicht um jegliche bzw. irgendeine Gewalt geht, die von Muslimen ausgeübt wird. Vielmehr wird Gewalt, wenn sie als „Jihad“ deklariert ist, unter Verengung des Bedeutungsgehaltes dieses Begriffs, religiös-islamisch legitimiert. Zumeist geht es dabei um einen Kampf gegen die „Feinde des Islam“, gegen den „Unglauben“ an sich oder gegen „satanische Mächte“ und „tyrannische Despoten“.

Dieser Kampf wird gegen fast alle momentan bestehenden Gesellschafts- und Staatsordnungen geführt, auch und gerade gegen bestehende Regierungen in islamischen Ländern, die als „abtrünnig“, „ungläubig“ und „korrupt“ bekämpft werden.

Jihadistische Gruppen können entweder in einem sehr begrenzten lokalen Kontext operieren (z. B. in einem Bürgerkrieg wie in Syrien) oder global ausgerichtet sein (wie im Falle von al-Qa‘ida). Der Einsatz von Terroraktionen und Selbstmordattentaten ist dabei nur eine spezifische Zuspitzung jihadistischer Gewaltausübung.

 

2.3 Legalistischer Islamismus

Der legalistische Islamismus zeichnet sich dadurch aus, dass er im Unterschied zum jihadistischen Islamismus vordergründig die bestehenden Rechts- und Politikverhältnisse anerkennt und bereit ist, im Rahmen der gültigen Gesetze zu handeln (legalistisches Handeln).

Es geht in erster Linie darum, weder durch Abwertung und Delegitimierung des Rechtsstaates noch durch Straftaten aufzufallen, die eine Loyalität zur bestehenden Ordnung in Frage stellen würden. Gleichzeitig werden aber übergeordnete ideologische Ziele verfolgt, Anhänger rekrutiert und alternative (vor allem liberale, aber auch alternative islamistische) Islamvorstellungen delegitimiert und verdrängt.

Legalistische Islamisten verfolgen das Ziel, sich gegenüber der Zivilgesellschaft und gegenüber öffentlichen Stellen in Deutschland als verlässliche Ansprechpersonen im muslimischen Spektrum zu präsentieren. Zivilgesellschaftliche Freiheiten in Westeuropa und der Wunsch staatlicher Behörden nach einem muslimischen Partner auf Augenhöhe werden in diesem Zusammenhang ausgenutzt. Unter der Prämisse einer „islamischen Deutungshoheit“ mit dem Ziel der umfassenden Umsetzung von Scharia-Normen soll überall ihre islamistische Agenda verwirklicht werden.

Der in dieser Agenda enthaltene islamistische Gesellschaftsentwurf ist zwar gewaltfrei, aber dennoch extremistisch, weil er alle Menschen, die divergierende Welt-, Gottes- und Menschenbilder vertreten, als „ungläubig“ brandmarkt, verunglimpft und sanktioniert. Religionssatire, Islamkritik, Religionswechsel, Gleichheit der Geschlechter, Homosexualität, Streben nach Selbstverwirklichung werden genauso als „islamfeindlich“ bekämpft wie parlamentarische Demokratie und die Religionsneutralität des Staates. Hier zeigt sich im Welt- und Menschenbild die Unvereinbarkeit mit den Normen des demokratischen Rechtsstaates und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland.

Der wichtigste international agierende Akteur des legalistischen Islamismus ist die Muslimbruderschaft (MB).

 

3. Welche islamistischen Akteure gibt es in Sachsen-Anhalt?

Islamistische Gruppierungen haben sich in Sachsen-Anhalt bislang nicht strukturell etablieren können. Statt fester, formaler Organisationsstrukturen agieren in Sachsen-Anhalt vielmehr lose Personennetzwerke oder Einzelpersonen, die ohne feste Einbindung in Szenemilieus islamistische Aktivitäten entfalten.

Das Potenzial dieser losen Anhängerschaft beläuft sich in Sachsen-Anhalt auf insgesamt ca. 400 Personen (Stand: 31.12.2024). Diese Anzahl ist seit einigen Jahren relativ konstant. Davon sind etwas mehr als 100 Personen eindeutig der Strömung des Salafismus zuzurechnen. Die übrigen dem Verfassungsschutz bekannten Islamisten verteilen sich auf legalistischen Islamismus sowie auf Bestrebungen, die im weitesten Sinne dem jihadistischen Spektrum zuzurechnen sind. Eingeschlossen sind in großer Zahl auch jene ehemaligen Jihad-Kämpfer, die während des Bürgerkriegs in Syrien und Irak auf Seiten jihadistischer Kampfbrigaden gekämpft haben, die aber seit ihrer Migration nach Deutschland nicht mehr militant aktiv geworden sind. Einige dieser ehemaligen Kämpfer sind in der Zwischenzeit rechtskräftig für ihre Straftaten in Jihad-Gebieten verurteilt worden und verbüßen Gefängnisstrafen in den Justizvollzugsanstalten des Landes Sachsen-Anhalt.

In Sachsen-Anhalt werden einige Moscheevereine vom Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt als islamistisch beeinflusst bzw. als teilweise von Islamisten frequentierte Einrichtungen bewertet. Die Zahl dieser Moscheevereine liegt im mittleren einstelligen Bereich. Mehrheitlich dienen Moscheevereine in Sachsen-Anhalt Muslimen als Anlaufstelle zur Verrichtung des freitäglichen Pflichtgebets. Die weit überwiegende Mehrheit der Mitglieder und Besucher dieser Moscheevereine verbreitet kein islamistisches Gedankengut und wird daher nicht nachrichtendienstlich beobachtet.

Eine Ausnahme stellt ein islamischer Verein in Stendal dar, der von 2017 bis 2020 in den Verfassungsschutzberichten des Landes Sachsen-Anhalt explizit erwähnt wurde. Der Vorstand dieses Vereins beeinflusst die Vereinsaktivitäten insgesamt im Sinne des Gedankenguts der MB (siehe hierzu den Abschnitt „Legalistischer Islamismus“).

Mittlerweile haben sich islamistische Aktivitäten überwiegend in das Internet und in die sozialen Medien verlagert, wodurch immer mehr auch jüngere Klientel angesprochen wird.

Die Verbreitung islamistischer und jihad-salafistischer Inhalte ist in allen sozialen Netzwerken unverändert hoch. Dabei ist zu beobachten, dass Profilinhaber vermehrt Inhalte insbesondere saudi-arabischer Prediger konsumieren und weiterverbreiten. In der Regel handelt es sich um Versatzstücke von Predigten die häufig segregationsfördernd sind und ein geschlossenes, salafistisch-wahhabitisches Weltbild des Profilnutzers offenbaren.

Die Verlagerung islamistischer Aktivitäten in den digitalen Bereich nutzen auch jihadistisch-terroristische Organisationen aus. Insbesondere ist die Ausbreitung der Gruppierung „Islamischer Staat – Provinz Khorasan“ (ISPK) in Afghanistan zu einer Gefahr für die aktuelle Sicherheitslage in Sachsen-Anhalt geworden. Es ist zu beobachten, dass der IS auf bereits bestehende jihadistische Netzwerke und Kommunikationskanäle in Deutschland zugreift, um verstärkt Anschlagsziele hier ins Visier zu nehmen und radikalisierte Personen für diese Anschläge zu rekrutieren. Mehrere Male ist es dem polizeilichen Staatsschutz und der Verfassungsschutzbehörde in Sachsen-Anhalt in den letzten beiden Jahren gelungen, solche Kontaktaufnahmen rechtzeitig zu erkennen. Mögliche Anschläge konnten in diesen Fällen durch repressive Maßnahmen der Polizei unterbunden werden.

 

4. Wie wirkt der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt in der Prävention von Islamismus mit?

Zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt zählt nicht nur die „klassische“ nachrichtendienstliche Tätigkeit der Sammlung und Auswertung von Informationen über extremistische Bestrebungen, sondern auch die Durchführung von Maßnahmen der Extremismusprävention. § 4a des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt (VerfSchG-LSA) legt fest, dass die Verfassungsschutzbehörde extremistischen Bestrebungen „durch Angebote zur Information vor[beugt] und […] insbesondere durch Angebote zur Prävention entgegen[tritt]“.

Mit ihrer Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit sensibilisiert die Verfassungsschutzbehörde Multiplikatoren aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft, um sie zu einem bewussten Umgang mit den unterschiedlichen Erscheinungsformen des Islamismus zu befähigen. Da einige dieser Erscheinungsformen oftmals nur schwer erkennbar sind, ist die Aufklärung von Multiplikatoren über die Merkmale und Kennzeichen islamistischer Strömungen und Akteure für die Verhinderung von Radikalisierungsprozessen von zentraler Bedeutung.

Deshalb bietet der Verfassungsschutz folgende Service-Leistungen für alle Kommunal- und Landesbehörden, für zivilgesellschaftliche Organisationen und die allgemeine Öffentlichkeit an:

  • Vorstellung und Erläuterung dieser Grundlegungen mit weiteren Hintergrundinformationen über islamistischen Extremismus in Sachsen-Anhalt;
  • Seminare und Workshops zum Thema „Islamismus“ (Geschichte und Gegenwart) mit Vertiefung der in den Publikationen der Verfassungsschutzbehörde gegebenen Erkenntnisse;
  • Handlungsempfehlungen bei Feststellung islamistischer Symbole und Kennzeichen;
  • Allgemeine Informationsveranstaltungen zum Thema „Islamistischer Extremismus“, einschließlich salafistischer, legalistischer und jihadistischer Gruppierungen und Bestrebungen;
  • Sensibilisierung für mögliche Hinweise auf Radikalisierungen und Empfehlungen für geeignete Reaktionen; Schulung zu Unterschieden zwischen extremistischen und religiösen bzw. nicht-extremistischen Ausdrucksformen des Islams;
  • Bewertung mutmaßlich islamistischer Literatur.             

Wenn Sie weitere Informationen benötigen, Fragen zu Islamismus oder anderen Themen des Verfassungsschutzes haben oder Hinweise geben möchten, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

So erreichen Sie uns:

Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt
Nachtweide 82
39124 Magdeburg
Telefon: +49(0)391/567-3900
E-Mail: info.verfassungsschutz@mi.sachsen-anhalt.de