Strukturen in Sachsen-Anhalt
Die Reichsbürgerszene besteht überwiegend aus Einzelpersonen ohne strukturelle Anbindung, aber auch aus Klein- und Kleinstgruppierungen, virtuellen Netzwerken und überregional agierenden Personenzusammenschlüssen. Schwerpunktregionen in Sachsen-Anhalt sind der Salzlandkreis sowie die Landkreise Mansfeld-Südharz und Wittenberg.
„Vaterländischer Hilfsdienst“ (VHD)
Der VHD ist eine Unterorganisation der „Reichsbürger“-Gruppierung „Ewiger Bund“/ „Bismarcks Erben“, die das Ziel verfolgt, Verwaltungsstrukturen außerhalb der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland aufzubauen. Die Gruppierung orientiert ihre regionale Gliederung an den historischen Armeekorpsbereichen (AKB), wie sie in der Zeit des Deutschen Kaiserreiches bestanden. Bundesweit existieren insgesamt 24 AKB, die sich ihrerseits über eigene Telegram-Gruppen organisieren. Die Webseite „www.hilfsdienst.net“ stellt hierbei die Hauptseite der Gruppierung mit regelmäßigen und neuen Inhalten dar. Auf dort verlinkten Unterseiten werden die realweltlichen Aktivitäten der meisten AKB präsentiert, so auch die sogenannten „Hilfsdiensttreffen“ des VHD-Ablegers in Sachsen-Anhalt, der unter der Bezeichnung „IV. Armeekorpsbezirk“ in Erscheinung tritt.
„Gemeindeamt Schinne“
Die im Landkreis Stendal aktive Gruppierung „Gemeindeamt Schinne“ verschickte in der jüngeren Vergangenheit bundesweit Schreiben an Ministerpräsidenten, Landesminister und Justizbehörden, in denen es sich als Vertreter des Preußischen Staates „vorstellte“ und behauptete, dass das Deutsche Reich seit 1871 nicht untergegangen sei und nun reaktiviert werde. Zudem verschickte die Gruppe sogenannte „Haftungsübernahmebescheide“ an verschiedene Landesregierungen. Der „Vorsteher“ des „Gemeindeamt Schinne“ wandte sich als Vertreter von anderen „Reichsbürgern“ an Behörden und gab in seinen Schreiben „Rechtsauskünfte“.
Während der Corona-Pandemie verschickte das „Gemeindeamt Schinne“ bundesweit Schreiben an verschiedene Ministerpräsidenten, in denen die Aufhebung aller staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie gefordert wurde.
„Samtgemeinde Alte Marck“
Die „Samtgemeinde Alte Marck“ verfügt über Anhänger im Altmarkkreis Salzwedel und im Landkreis Stendal. Ihre Aktivitäten beschränken sich im Wesentlichen auf das Internet und auf das Versenden von Schreiben an staatliche Stellen.
Die Gruppe ist bestrebt, Parallelstrukturen zur Bundesrepublik Deutschland aufzubauen. So erklärt sie auf ihrer Homepage, dass sie in zwei Ortsteilen der Gemeinde Altmärkische Höhe (Landkreis Stendal) jeweils einen Ortsvorsteher eingesetzt habe. Die Bewohner dieser Ortsteile werden dort aufgefordert, bei dem jeweiligen Ortsvorsteher eine Austrittserklärung einzureichen für den Fall, dass sie nicht mehr von der „Samtgemeinde Alte Marck“ verwaltet werden möchten.
In Thüringen hat sich eine Fantasiegemeinde konstituiert, die laut einer „Gründungsurkunde“ von der „Samtgemeinde Alte Marck“ verwaltet wird.
„Gemeine Südharz“
Im Landkreis Mansfeld-Südharz bildete sich im September 2022 eine Personengruppe von „Reichsbürgern“ heraus, die immer wieder mit Schreiben an verschiedene staatliche Institutionen auffiel. In diesen Schreiben wird unter aanderem behauptet, ausschließlich die „Gemeine Südharz“ sei verwaltungsrechtlich befugt, Maßnahmen gegenüber ihren Anhängern zu veranlassen; die Zuständigkeit staatlicher Behörden wird bestritten.
Der Gruppierung werden inzwischen etwa 30 „Reichsbürger“ zugerechnet, die auch in anderen Landkreisen oder außerhalb Sachsen-Anhalts wohnen.
„Stiller Protest“
Im Zeitraum von 2020 bis 2024 führten Personen, die der Reichsbürgerszene zugerechnet werden, in der Ortslage Gröningen, OT Heynburg (Landkreis Börde), an der B 81 regelmäßig Versammlungen durch. Die Teilnehmerzahlen bewegten sich anfangs im niedrigen zweistelligen, ab 2023 nur noch im einstelligen Bereich. Seit August 2024 werden die Versammlungen in Heynburg nicht fortgeführt. An der B 86 in Sangerhausen (Landkreis Mansfeld-Südharz) finden weiterhin Versammlungen von „Reichsbürgern“ statt; diese weisen allerdings ebenfalls nur sehr geringe Teilnehmerzahlen auf.
„Königreich Deutschland“ (KRD) (verboten)
Die Gruppierung KRD war zeitweise der größte Personenzusammenschluss der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene in Deutschland. Als Hauptsitz diente ihr ein Objekt in Reinsdorf, einem Ortsteil der Lutherstadt Wittenberg (Landkreis Wittenberg). Allerdings konnte das KRD seit dem 29. November 2023 infolge staatlicher Exekutivmaßnahmen nicht mehr auf dieses Objekt zugreifen. Am 13. Mai 2025 wurde die Gruppierung vom Bundesministerium des Innern verboten.
Organisation und Aktivitäten
Im Jahr 2009 gründete Peter Fitzek (Lutherstadt Wittenberg) den Verein „NeuDeutschland e. V.“. Seit 2012 trat er als Monarch bzw. „Oberster Souverän“ des KRD in Erscheinung. Seine Aktivitäten zielten darauf ab, auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland einen außerhalb der deutschen Rechtsordnung stehenden, autoritär organisierten Ständestaat zu errichten, in dem demokratische und rechtsstaatliche Grundsätze generell keine Geltung haben sollten.
Für den von ihm konstruierten Fantasiestaat hat Fitzek eine eigene „Verfassung“ erstellt, die das KRD als „konstitutionelle Wahlmonarchie“ auswies. Um die von ihm angestrebte Etablierung eines eigenen Staatswesens voranzutreiben, schuf Fitzek diverse Strukturen, die eine Alternative zu den bestehenden Institutionen der bundesdeutschen Rechts- und Wirtschaftsordnung bildeten und den KRD-Anhängern somit einen „Systemausstieg“ ermöglichen sollten. Zu diesen Strukturen zählten z. B. sogenannte „GemeinwohlKassen“, in denen KRD-Anhänger ihr Erspartes hinterlegen sollten, die „Deutsche Heilfürsorge“ (vergleichbar mit einer Krankenkasse), eine „Rentenkasse“, ein „Meldeamt“ und eine „Königliche Reichsbank“, die als „Staatsbank“ des KRD ausgewiesen wurde. Seit 2022 konnte das KRD darüber hinaus mehrere größere Immobilien in Sachsen, Thüringen und Niedersachsen erwerben. Fitzek verfolgte das Ziel, auf diesen Liegenschaften ein autarkes Staatsgebilde zu errichten, das sich selbst versorgen sollte.
Um für seine Ideologie zu werben, betrieb Fitzek eine intensive Öffentlichkeitsarbeit. Das KRD war in den sozialen Medien (Facebook, Instagram und Telegram) präsent und unterhielt mehrere Internetseiten sowie eine eigene Videoplattform („KRD Tube“), auf der es neben selbst produzierten Propagandafilmen unter anderem auch Reportagen von unabhängigen Medien über das KRD präsentierte. Die Gruppierung produzierte außerdem Bücher, Online-Seminare sowie CDs und DVDs, die sie in einem eigenen Online-Shop vertrieb.
Ideologie
Das KRD rief zur Missachtung der bundesdeutschen Rechtsordnung auf. Auch wenn Fitzek nicht direkt zu gewaltsamen Formen des Widerstands gegen staatliche Institutionen und deren Vertreter aufrief, ließ er doch keinen Zweifel daran, dass er die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnt und als Alternative zu ihr eine autoritäre Ordnung anstrebt. Dieses Bestreben brachte er nicht nur in seinen praktischen Aktivitäten, die auf den Aufbau eines außerhalb der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland stehenden, autokratisch organisierten Staatsgebildes zielten, sondern auch in seinen zahlreichen Propagandavideos und -schriften zum Ausdruck, die er auf der Internetseite des KRD, in den sozialen Medien und auf der KRD-eigenen Videoplattform „KRD Tube“ veröffentlicht hat. Damit verfolgte er erkennbar das Ziel, die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zu delegitimieren und neue „Staatsangehörige“ für sein „Königreich“ zu rekrutieren.
In seinen Seminaren, Videobotschaften und Schriften verbreitete Fitzek zahlreiche Verschwörungsnarrative, die letztlich von der Vorstellung ausgehen, dass eine geheime („satanistische“) Elite die Errichtung einer „Neuen Weltordnung“ anstrebe, die auf eine Entrechtung der Völker hinauslaufe. Dabei bemühte er auch den antisemitischen Topos einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung. So behauptete er zum Beispiel in einem am 21. Dezember 2022 auf „KRD Tube“ veröffentlichten Video mit dem Titel „Die geheimen Hintergründe der politischen Lage!“, dass die politischen Eliten weltweit von einer jüdischen Organisation gelenkt würden. Diese habe nicht nur den russischen Präsidenten Wladimir Putin „weitestgehend erzogen“; auch der jüdische ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sei Teil dieser Organisation. Damit suggerierte Fitzek, dass letztlich die Juden für die Kriege auf der Welt (und für den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine im Besonderen) verantwortlich seien. Angesichts solcher antisemitischen Botschaften überrascht es nicht, dass Fitzek im Rahmen seiner Vernetzungsbestrebungen auch vor einer Kooperation mit bekannten Rechtsextremisten wie dem Holocaustleugner Nikolai Nerling (Niedersachsen) nicht zurückschreckte.





